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In Zeiten des Fachkräftemangels sind Arbeitnehmer bestrebt, gute Vertragsbedingungen auszuhandeln. Umgekehrt schaffen Arbeitgeber Anreize, um qualifiziertes Personal an sich zu binden. Mitarbeiter lassen sich zum Beispiel mit Sonderzahlungen motivieren. Allerdings erhöhen sich dann die Betriebskosten. In Zeiten der Hochkonjunktur mag das nicht so problematisch sein. Was aber, wenn es wirtschaftlich mal nicht so gut läuft? Hier hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine überraschende Lösung gefunden (BAG, Urteil vom 23.08.2017, 10 AZR 376/16).

Werden Sonderzahlungen (Gratifikationen, Weihnachtsgeld, zusätzliches Urlaubsgeld, 13. Monatsgehalt, anteiliges 13. Monatsgehalt) auf vertraglicher Basis geleistet, kann der Arbeitgeber diese nicht einseitig widerrufen; er ist an den Vertrag gebunden. Die einzige Möglichkeit für ihn wäre, eine Änderungskündigung auszusprechen. Der Arbeitnehmer kann die Änderungskündigung vorerst annehmen und den Wegfall der Sonderzahlung gerichtlich überprüfen lassen. Die Arbeitgeber haben in der Vergangenheit deshalb Sonderzahlungen nicht mehr vertraglich vereinbart, sondern freiwillig und ohne ausdrückliche schriftliche oder mündliche Vereinbarung gezahlt. Aber Vorsicht: Nach dreimaliger vorbehaltloser Gewährung der Sonderzahlung entsteht eine sogenannte betriebliche Übung. Im vierten Jahr, so die höchstrichterliche Rechtsprechung, entsteht ein vertraglicher Anspruch auf die Sonderzahlung in voller Höhe und dann alle Jahre wieder.

Ein probates Mittel dagegen war es bisher, die Sonderzahlung unter einen sogenannten Freiwilligkeitsvorbehalt zu stellen. Der Arbeitgeber erklärte in einer Klausel im Arbeitsvertrag oder − besser − jedes Jahr auf einem gesonderten Schreiben, dass die Sonderzahlung freiwillig ist. Das BAG hat jedoch in einem Fall einen solchen Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt für unwirksam erklärt. Denn der Wortlaut war widersprüchlich: Soll die Sonderzahlung freiwillig sein oder unter einem Vorbehalt stehen? Widersprüche sind aber dem Arbeitgeber anzulasten, denn dieser hat die Klausel geschrieben und die Gerichte reduzieren die Klauseln nicht auf einen rechtmäßigen Kern. Im Übrigen hat das BAG seinerzeit offengelassen, ob ein Freiwilligkeitsvorbehalt überhaupt in einen Vertrag geschrieben werden kann oder ob dieser immer separat Jahr für Jahr extra erklärt werden muss.

Eine andere Lösung, wie mit den wirtschaftlichen Schwankungen in einem Unternehmen umgegangen werden kann, bietet die vorliegende Entscheidung des BAGs.

 

Sachverhalt

Arbeitgeberin und Arbeitnehmer stritten darüber, ob dem Arbeitnehmer für das Jahr 2014 eine Sonderzahlung in Höhe eines Monatsgehaltes zustand. Die Sonderzahlung war im Arbeitsvertrag geregelt. Die entsprechende Vertragsklausel aus dem Anstellungsvertrag vom 16.10.1984 lautete: „… Zusätzlich zum Grundgehalt wird − nach Ablauf der Probezeit − als freiwillige Leistung − eine Weihnachtsgratifikation gezahlt, deren Höhe jeweils jährlich durch den Arbeitgeber bekanntgegeben wird und deren Höhe derzeit ein volles Monatsgehalt nicht übersteigt. …“

Der weitere Wortlaut der Vertragsklausel traf Regelungen, wie hoch das Weihnachtsgeld im Eintritts- und im Austrittsjahr ist sowie eine Rückzahlungsklausel, falls der Arbeitnehmer bis zum 31.03. des Folgejahres ausscheidet.

Bis einschließlich des Jahres 2013 leistete die Arbeitgeberin in jedem Jahr die Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Bruttogehaltes (also 29 Jahre lang). Nachdem die Arbeitgeberin den Aufwand für die Weihnachtsgratifikation im laufenden Jahr 2014 geschätzt hatte, kam sie zu der Prognose, dass das Betriebsergebnis vor Steuern negativ ausfallen werde, sollte die Gratifikation gezahlt werden. Sie entschied sich deshalb dazu, keine Gratifikation an die Arbeitnehmer zu zahlen und teilte unter anderem dem Arbeitnehmer mit, dass sie aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Lage dem Arbeitnehmer keine Jahresendgratifikation mit dem Novembergehalt auszahlen könne.

Im Prozess war der Arbeitnehmer insbesondere der Ansicht, die Vertragsklausel sei intransparent. Man könne daraus lesen, dass jährlich mindestens ein Monatsgehalt als Weihnachtsgratifikation zu zahlen sei. Es bestehe aber auch nach der langjährigen vorbehaltlosen Zahlungspraxis eine betriebliche Übung, sodass der Arbeitnehmer auch 2014 einen Anspruch auf das volle Weihnachtsgeld habe.

 

Rechtliche Würdigung

Das BAG interpretiert die streitige Vertragsklausel im Ergebnis so, dass der Arbeitgeber die jeweilige Höhe der Gratifikation nach dem Wortlaut der Vertragsbedingung jährlich nach billigem Ermessen einseitig bestimmen kann. Deshalb sei der Anspruch des Arbeitnehmers aufgrund des einseitigen Leistungsbestimmungsrechtes des Arbeitnehmers erloschen. Die Arbeitgeberin habe das Leistungsbestimmungsrecht auch wirksam ausgeübt, indem sie dem Arbeitnehmer mitgeteilt habe, aus wirtschaftlichen Gründen keine Weihnachtsgratifikation auszahlen zu können.

Zunächst legt das BAG die Vertragsklausel nach ihrem Wortlaut aus und kommt zu der Feststellung, dass dem Grunde nach ein Anspruch des Arbeitnehmers auf das Weihnachtsgeld besteht. Weder die Bezeichnung der Gratifikation als „freiwillige Leistung“ noch die Formulierung „derzeit“ schließen den Rechtsanspruch des Arbeitnehmers aus. Diese Erkenntnis steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BAGs.

Die Höhe des Weihnachtsgeldes kann der Arbeitgeber jedoch nach billigem Ermessen treffen. Dabei legt das BAG die Wendung „… jeweils jährlich durch den Arbeitgeber bekanntgegeben wird und … derzeit ein volles Monatsgehalt nicht übersteigt“ folgendermaßen aus: Die Regelung lasse erkennbar offen, ob die Gratifikation die Höhe eines vollen Monatsgehaltes zukünftig erreichen, höher sein oder darunterliegen wird. Folglich kann der Arbeitgeber die Höhe des Weihnachtsgeldes nach billigem Ermessen festlegen.

Auch die 29 Jahre gleichbleibende Ausübung des Leistungsbestimmungsrechtes (vorliegend stets ein Monatsgehalt) ändere nichts an der Befugnis des Arbeitgebers nach billigem Ermessen zu entscheiden.

Da hier eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung vorlag, ist auch keine betriebliche Übung entstanden. Denn in der hier gegebenen Konstellation konnte der Arbeitnehmer nicht aufgrund mehrfacher vorbehaltloser Auszahlung auf ein verbindliches Angebot des Arbeitgebers schließen, es sei in der Zukunft immer ein Monatsgehalt auszuzahlen.

Die Ausübung des Ermessens durch den Arbeitgeber sei nach Auffassung des BAGs nicht zu beanstanden. Es unterliege der vollen gerichtlichen Kontrolle. Das Weihnachtsgeld sei nicht ausgezahlt worden, da die Gefahr eines negativen Betriebsergebnisses drohte. Dies sei nachvollziehbar. Der Arbeitnehmer habe keine Umstände vorgetragen, die an der Entscheidung des Arbeitgebers Zweifel aufkommen ließen.

 

Für die Praxis

Der Arbeitgeber geht immer auf Nummer sicher, wenn er sich für eine Sonderzahlung entscheidet und diese Jahr für Jahr unter den Vorbehalt der Freiwilligkeit stellt. Dies sollte er auch dann tun, wenn die Freiwilligkeit im Arbeitsvertrag geregelt ist, denn das BAG hat in einer anderen Entscheidung zwar nicht entschieden, dass solche Vertragsklauseln unwirksam sind, es hat sich jedoch sehr kritisch dazu geäußert. Im Arbeitsrecht gilt nach der Schuldrechtsreform des Jahres 2002 das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Danach könnten entsprechende Vertragsklauseln wegen Unangemessenheit unwirksam sein. Das ist zwar sehr bedenklich, weil die Hauptleistung – hier die Arbeitsleistung − und die Gegenleistung, nämlich das Entgelt, grundsätzlich keiner Angemessenheitskontrolle unterliegen sollen, die Rechtsprechung sieht dies teilweise jedoch anders.

 

Dringender Tipp

Der Arbeitgeber sollte aus Beweiszwecken schriftlich mit einem Zugangsvermerk des Arbeitnehmers auf die Freiwilligkeit der Sonderzahlung hinweisen. Mit dem Zugangsvermerk (schriftliche Bestätigung) wird bewiesen, dass der Arbeitnehmer den Vorbehalt auch zur Kenntnis bekommen hat. Der Text sollte mindestens folgenden Wortlaut haben: „Die Zahlung der Sonderzahlung erfolgt freiwillig, ohne Bindung für die Zukunft. Ein Rechtsanspruch für künftige Geschäftsjahre ist dem Grunde und der Höhe nach ausgeschlossen.“

Möchte der Arbeitgeber jedoch mehr vereinbaren, weil er einen Anreiz für neue Arbeitnehmer schaffen möchte oder Arbeitnehmer entsprechende Erwartungen an den Arbeitgeber haben, empfiehlt sich eine Vertragskonstruktion, die das BAG in der vorliegenden Entscheidung gebilligt hat. Das Urteil des BAGs bietet für wirtschaftliche Schwankungen eine arbeitsvertragliche Lösung an. Im Falle wirtschaftlicher Schwankungen kann der Arbeitgeber die Auszahlung vom Betriebsergebnis abhängig machen und hat in wirtschaftlich schlechten Zeiten die Möglichkeit, die Betriebskosten zu senken. Insoweit kommt einer solchen Regelung im Blick auf die Kostenrechnung eine Reservefunktion zu. Entsprechende Prognosen zum Ende des Jahres hin erlauben es dem Arbeitgeber nach billigem Ermessen die Sonderzahlung zu kürzen, oder − wie hier geschehen − bei der Prognose eines negativen Betriebsergebnisses die Gratifikation auf null zu setzen.

Allerdings ist auch hier Vorsicht geboten, denn nach der Lösung des BAGs entsteht für den Arbeitnehmer dem Grunde nach ein jährlicher Anspruch auf die Sonderzahlung. Insoweit kommt es zu einer Verstetigung. Wie aber bereits erwähnt, kann eine Verstetigung als Anreiz für potenzielle Arbeitnehmer auch Vorteile haben, denn auch Arbeitsverträge beinhalten ein Geben und Nehmen.

Übrigens kann eine solche Regelung auch für den Arbeitnehmer motivierend wirken, denn er kann durch seine Leistung zum Betriebsergebnis beitragen.

Jedenfalls wird auch durch die hier besprochene Vertragsklausel verhindert, dass es heißt: Alle Jahre wieder. Das Urteil zum Fall lesen Sie hier.

Peter Radmacher • biha

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