Foto: AdobeStock/Dan-Race

Für eine fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund ist zumeist ein einschneidendes Ereignis ursächlich. Dieses führt nach dem Wortlaut des Gesetzes dazu, dass dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsvertrages bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der ursprünglich vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Dabei ist allerdings Eile geboten.

Die außerordentliche Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt zu laufen, sobald der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch in einer Entscheidung klargestellt, dass der Fristablauf unter bestimmten Voraussetzungen verzögert wird (Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 27.06.2019; Az. 2 ABR 2/19).

 

Sachverhalt

Den Hintergrund der Entscheidung bildete ein schwerwiegender Fall sexueller Belästigung. Der von der Kündigung Betroffene teilte sich mit einer Kollegin ein Büro. Bereits am Vortag des der Kündigung vorausgegangenen Vorfalles machte der Betroffene im gemeinsamen Büro gegenüber seiner Kollegin eine sexuell aufgeladene Andeutung, die von ihr direkt als unangemessen zurückgewiesen wurde. Anschließend berichtete sie den Vorfall ihrer Personalleiterin. Am Abend des 22.11.2016 übersandte dann der zu kündigende Mitarbeiter seiner Kollegin an ihre private Mobiltelefonnummer kurz nacheinander acht verschiedene Nachrichten. Darunter befanden sich auch Videoclips mit pornografischem Inhalt. Noch am selben Abend kontaktierte die Arbeitnehmerin entsprechend einer internen Vereinbarung die zuständige Vertrauensstelle ihres Unternehmens. Auf deren Empfehlung hin forderte sie den Belästiger per Messenger auf, ihr keine Nachrichten dieser Art mehr zu senden. Am 23.11.2016 berichtete die Mitarbeiterin einer zur Aussprache von Kündigungen berechtigten Prokuristin von den Videos. Danach wurde der Sachverhalt zunächst vertraulich behandelt. Die belästigte Arbeitnehmerin holte in Begleitung der Prokuristin persönliche Sachen aus ihrem Büro und arbeitete den restlichen Arbeitstag in einem anderen Büroraum.

Die Arbeitnehmerin war dann ab dem 24.11.2016 arbeitsunfähig erkrankt. Am 14.12.2016 teilte sie der Arbeitgeberin über die Vertrauensstelle mit, dass sie den Fall jetzt doch offiziell untersuchen lassen wolle, und übermittelte am 15.12.2016 per E-Mail einen dreiseitigen Bericht zu dem Geschehen. Der Belästiger wurde am 16.12.2016, somit mehr als drei Wochen nach dem Vorfall, zu den Vorwürfen angehört. Zur Aussprache einer Kündigung kam es dann jedoch nicht mehr, da der im Verfahren zu beteiligende Betriebsrat sowie auch der Betroffene selbst geltend machten, die Zwei-Wochen-Frist, die sich aus Paragraf 626 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ergebe, sei nicht eingehalten worden.

Die Arbeitgeberin vertrat gegenüber den dann eingeschalteten Gerichten hingegen die Auffassung, die Kündigungserklärungsfrist sei erst mit der Übersendung der Stellungnahme der Arbeitskollegin und der daraufhin sofort erfolgten Anhörung des Betroffenen am 16.12.2016 in Lauf gesetzt worden. Die Arbeitnehmerin habe am 23.11.2016 ausdrücklich um vertrauliche Behandlung ihres Falles sowie insbesondere darum gebeten, den zu Kündigenden nicht mit den von ihr erhobenen Vorwürfen zu konfrontieren. Diesem Ansinnen habe bereits aufgrund der internen Vereinbarungen entsprochen werden müssen. Die Arbeitnehmerin habe sich darüber hinaus in ärztlicher Behandlung befunden und sich gesundheitlich nicht in der Lage gesehen, eine Auseinandersetzung mit dem sie belästigenden Kollegen zu führen. Das Arbeitsgericht hatte einer Klage der Arbeitgeberin auf Zustimmung des Betriebsrates zur Kündigung noch stattgegeben. Auf die Beschwerden des Betriebsrates und des zu kündigenden Arbeitnehmers hin hat das Landesarbeitsgericht die Klage jedoch abgewiesen. Am Ende hatte das Bundesarbeitsgericht über die mögliche Verletzung der Kündigungsfrist zu befinden.

 

Entscheidungsgründe

Das Gericht hatte dabei zu entscheiden, ob ein Fristversäumnis vorliegt oder die späte Anhörung des Belästigers durch eine gesetzlich gebotene Zurückhaltung gerechtfertigt war. Grundsätzlich beginnt die gesetzliche Kündigungsfrist, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen besitzt, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Neben den Vertretern von juristischen Personen, wie beispielsweise Geschäftsführern von GmbHs, gehören zu den Kündigungsberechtigten dabei auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Somit hatte die klagende Arbeitgeberin bereits am 23.11.2016 durch die zum Kündigungsausspruch berechtigte Prokuristin Kenntnis von der Übersendung pornografischen Materials ‒ ein Geschehen, das sie zum Anlass einer außerordentlichen Kündigung nahm. Gleichwohl nahm das Bundesarbeitsgericht an, dass die gesetzliche Zwei-Wochen-Frist hierdurch noch nicht in Gang gesetzt wurde. Denn die Arbeitgeberin durfte zur weiteren Aufklärung der Sachlage zunächst eine Anhörung des betreffenden Mitarbeiters abwarten. Dass die Anhörung erst am 16.12.2016 erfolgte, sei dabei besonderen Umständen geschuldet gewesen.

Allgemein darf ein Kündigungsberechtigter, der bislang nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des Paragrafen 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen beginnt. Dies gilt allerdings nur so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine umfassende und zuverlässige Kenntnis des Kündigungssachverhaltes und der Beweismittel verschaffen sollen. Soll dabei ein Mitarbeiter angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden. Für die übrigen Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden. Sind die Ermittlungen abgeschlossen und hat der Kündigungsberechtigte eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der Ausschlussfrist.

Im konkreten Fall durfte die Arbeitgeberin vor Einleitung des Kündigungsverfahrens die Anhörung des Betroffenen abwarten, um die Einordnung in den sozialen Kontext vorzunehmen, zumal es, was die Übermittlung der Videoclips betrifft, um ein Verhalten außerhalb der Arbeitszeit und unter Nutzung privater Kommunikationsmittel ging. Problematisiert wurde dabei aber, dass die Arbeitgeberin zwischen dem 23.11.2016 und dem 16.12.2016 keinerlei Maßnahmen zur Ermittlung des Kündigungssachverhalts ergriffen hatte, sondern untätig geblieben ist.

Das Bundesarbeitsgericht führte aus, dass selbst, wenn interne Vereinbarungen eine Schweigepflicht bei gemeldeten Belästigungstatbeständen vorsehen, hierdurch noch kein Hindernis für die Arbeitgeberin entstehe, die Regelfrist von einer Woche für die Anhörung des vermeintlich Belästigenden einzuhalten. Denn in letzter Konsequenz würde das Recht des Arbeitgebers zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung hierdurch von dem Verhalten eines Dritten abhängig gemacht, ohne dass der Arbeitgeber hierauf maßgeblich Einfluss nehmen könne. Ein solches Erfordernis würde aber eine unzulässige Beschränkung des Rechtes zur außerordentlichen Kündigung darstellen.

Ein Arbeitgeber, der sich die Möglichkeit einer außerordentlichen Kündigung erhalten will, muss bei der Vereinbarung betreffend der Vertraulichkeit von Mitteilungen von Arbeitnehmern gegenüber kündigungsberechtigten Mitarbeitern grundsätzlich eine angemessen kurze Frist setzen, innerhalb derer sich der betroffene Arbeitnehmer über die Beibehaltung der Vertraulichkeit zu erklären hat. Fehle es hieran, mangle es regelmäßig an den mit der gebotenen Eile durchgeführten Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhaltes. Dabei sei ferner zu prüfen, ob der Arbeitnehmer überhaupt ein berechtigtes Interesse für die Bitte um Vertraulichkeit habe und welche Vorwürfe Gegenstand der Mitteilung seien. Soweit diese beispielsweise Anlass zu der Annahme gäben, dass eine konkrete Gefährdung anderer Arbeitnehmer bestehe, werde es in aller Regel an der Berechtigung einer Bitte um Vertraulichkeit fehlen.

Im entschiedenen Fall war es nach Ansicht des Gerichtes der Arbeitgeberin trotz fehlender Fristsetzung gegenüber der Arbeitnehmerin unzumutbar gewesen, den Mitarbeiter wegen der sexuellen Belästigung vor dem 14.12.2016 anzuhören. Denn hier kollidiere die Obliegenheit, mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchzuführen mit der gesetzlichen Pflicht, auf das Wohl und die berechtigten Interessen der betroffenen Arbeitnehmerin Rücksicht zu nehmen und sie vor Gesundheitsgefahren auch psychischer Art zu schützen. Die Arbeitgeberin habe einer an sie herangetragenen ausdrücklichen Bitte der betroffenen Arbeitnehmerin um Vertraulichkeit entsprochen. Diese habe darum gebeten, ihren Kollegen wegen ihres Gesundheitszustandes nicht mit den erhobenen Vorwürfen zu konfrontieren. Angesichts der Nähe der Zusammenarbeit sowie des Vorwurfes einer sexuellen Belästigung, der vielfach die Gefahr einer Bloßstellung berge und für die sich offenbarende Person regelmäßig eine große Belastung darstelle, habe die betroffene Arbeitnehmerin auch ein berechtigtes Interesse daran gehabt, dass die Arbeitgeberin zunächst keine Anhörung ihres Kollegen durchführe.

Zwar habe die Arbeitgeberin ihrer Arbeitnehmerin keine angemessen kurze Frist gesetzt, innerhalb derer sie sich erklären sollte, ob sie auf die Vertraulichkeit verzichte. Dies sei aber unschädlich, da die Arbeitnehmerin ab dem 24.11.2016 arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen sei. Während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit stehe dem Arbeitgeber nur ein sehr eingeschränktes Weisungsrecht zu, was aus Gründen der Rücksichtnahme während des Genesungsprozesses auch die Zulässigkeit der Kontaktaufnahme begrenze. Zudem habe die Arbeitsunfähigkeit, ausweislich der Beweisaufnahme, auch auf der psychischen Belastung durch den Belästigungstatbestand beruht. Allerdings, so betonte das Bundesarbeitsgericht, könne ein Arbeitgeber, der sich die Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung offenhalten wolle, auch im Fall der Erkrankung des Arbeitnehmers, mit dem aus berechtigtem Interesse zunächst eine Vertraulichkeit vereinbart wurde, nicht beliebig lang warten, bis dieser sich zu einer Entbindung von der Vertraulichkeit entschließe. Dies wäre mit dem Normzweck des Paragrafen 626 Abs. 2 BGB nicht zu vereinbaren. Im konkreten Fall sei der zeitliche Abstand von drei Wochen zwischen der Mitteilung der Vorwürfe gegenüber der Prokuristin und der Entbindung von der Vertraulichkeit durch die betroffene erkrankte Arbeitnehmerin aber nicht zu beanstanden. Eine Fristversäumnis liege daher nicht vor.

 

Für die Praxis

Es ist klarzustellen, dass in Fällen sexueller Belästigung das Tätigwerden des Arbeitgebers bis hin zur fristlosen Kündigung des belästigenden Mitarbeiters nicht vom Willen der geschädigten Mitarbeiter abhängen kann. Denn in Fällen wie dem vorliegenden ist eine Schädigung anderer Mitarbeiter nicht auszuschließen. Treten Fälle auf, die zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen, ist stets Eile geboten. Ob das Bundesarbeitsgericht im entschiedenen Fall eine mehr oder weniger kurze Verzögerung der grundsätzlich strengen Zwei-Wochen-Frist nur im Hinblick auf die doch nicht unerhebliche sexuelle Belästigung zugelassen hat, muss offenbleiben. Jedenfalls ist eine großzügige Auslegung des Gesetzes in Fällen massiver sexueller Belästigung an sich zu begrüßen.

Die Entscheidung, ob eine fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung ausgesprochen wird, bleibt dem Arbeitgeber jedoch nicht erspart. Der Unternehmer muss also auch bei fehlender Zustimmung der Arbeitnehmerin erwägen, ob er – vor allem in Anbetracht der übrigen Belegschaft – die fristlose Kündigung dann doch ausspricht, wenn sich die Arbeitnehmerin für die Beibehaltung der Vertraulichkeit entscheiden sollte. Er muss dabei bedenken, dass im Falle einer Kündigungsschutzklage die Arbeitnehmerin in einem Arbeitsgerichtsprozess notfalls als Zeugin aussagen muss. Auch bei massiver sexueller Belästigung steht der Mitarbeiterin kein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Falsch verstandene Zurückhaltung kann daher eine Belastung der betroffenen Mitarbeiterin nur herauszögern und führt im misslichsten Fall dazu, dass die Aussprache einer wirksamen Kündigung verhindert wird. Lässt sich der Sachverhalt wie hier gut darlegen und beweisen, spricht insbesondere die Fürsorgepflicht gegenüber den übrigen Arbeitnehmern für die Aufgabe der Zurückhaltung und Aussprache einer fristlosen Kündigung.

Das Urteil zum Fall lesen Sie hier.

Christian Behrendt • biha

„Hörakustik“ – einfach mehr wissen.

 

Impressum | Datenschutz | Kontakt | Abonnieren | Mediadaten

© 2018 hoerakustik.net