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Während die Videoüberwachung in öffentlich zugänglichen Räumen des Hörakustik-Unternehmens bereits zur Wahrung des Hausrechts installiert werden kann (nur Hinweis erforderlich), stellt sich dies im nicht öffentlichen Bereich des Unternehmens als weitaus schwieriger dar. Eine Möglichkeit besteht darin, dass Arbeitnehmer schriftlich in die Videoüberwachung einwilligen, anderenfalls kann eine Videoüberwachung am Arbeitsplatz nur unter strengen Voraussetzungen erfolgen. Wie genau diese Voraussetzungen zu erfüllen sind, damit beschäftigte sich jüngst das Bundesarbeitsgericht in einer aktuellen Entscheidung (BAG, Urteil vom 20.10.2016, Az.: 2 AZR 395/15).

Der Arbeitnehmer-Datenschutz ist in § 32 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) geregelt. Erfolgt eine Videoüberwachung am Arbeitsplatz stellt dies die Erhebung von Daten im Sinne des Datenschutzrechts dar. Werden diese später ausgewertet, spricht man von Verarbeitung und Nutzung der Daten. Diese Handlungen sind nur erlaubt, wenn

  • Anhaltspunkte den Verdacht begründen, dass der Arbeitnehmer im Beschäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat,
  • die Videoüberwachung zur Aufdeckung der Straftat erforderlich ist und
  • keine schutzwürdigen Interessen der Arbeitnehmer entgegenstehen.

Ein Arbeitnehmer hatte im Lager seines Arbeitgebers, eines Kfz-Vertragshändlers, ein Paket Bremsklötze gestohlen, was auf einem Video gut zu sehen war. Der Arbeitnehmer erhielt postwendend die fristlose Kündigung und machte vor dem Arbeitsgericht, dem Landesarbeitsgericht und dem Bundesarbeitsgericht geltend, die Videoaufnahmen seien rechtswidrig gemacht worden und dürften deshalb als Beweis in der mündlichen Verhandlung nicht verwendet werden. Das BAG gab dem Kfz-Vertragshändler jedoch Recht.

 

Sachverhalt

Der gekündigte Arbeitnehmer war bei dem Kfz-Vertragshändler als Kraftfahrzeugmechaniker beschäftigt. In dem Betrieb arbeiteten mehr als 10 Arbeitnehmer. Zum Betrieb gehört auch ein Lager, welches von 2 Mitarbeitern betreut wurde. Bis zum Herbst 2013 war es allen Mitarbeitern erlaubt, das Lager zu betreten und auch Ersatzteile aus den Regalen zu nehmen. Mit Aushang vom 27. Februar 2014 untersagte der Arbeitgeber allen Mitarbeitern für die Zukunft den Zutritt zum Lager und verbot ihnen, Teile aus den Regalen zu nehmen. Hiervon ausgenommen waren nur die beiden Lageristen. Das Verbot hatte folgende Ursache: Der Arbeitgeber hatte im November 2013 und im Februar 2014 nach Inventuren stets erhebliche Fehlbestände im Lager an Ersatzteilen festgestellt. Er wusste sich wegen dieser Fehlbestände keinen Rat, so dass er außer den beiden Lagermitarbeitern allen anderen Mitarbeitern das Betreten des Lagers verbot. Mit Zustimmung der beiden Lageristen installierte der Arbeitgeber sodann eine Videokamera. Am 6. August 2014 wertete der Betriebsleiter des Arbeitgebers die Videoaufzeichnungen vom 15. Juli 2014 aus. Auf dem Film war zu sehen, wie sich der Arbeitnehmer ein Paket Bremsklötze aus dem Regal nahm und in seine Tasche steckte. Mit Schreiben vom 14. August 2014 kündigte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer fristlos. Der Arbeitnehmer machte geltend, die Videoüberwachung sei rechtswidrig gewesen, so dass der Film als Beweis nicht verwertet werden darf (sog. Beweisverwertungsverbot) und die Kündigung deshalb auch unwirksam sei.

 

Rechtliche Würdigung

Zunächst stellt das BAG fest, dass das Zivilprozessrecht auch im Arbeitsgerichtsprozess kein Beweisverwertungsverbot kennt. Auch das Datenschutzrecht enthält an keiner Stelle ein solches Beweisverwertungsverbot. Das Verbot der Verwertung unstreitigen Sachvortrags kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position des Arbeitnehmers zwingend geboten ist, denn auch das BAG ist an die Grundrechte gebunden. Das BAG prüft demnach, ob die Beschaffung der heimlich angefertigten Videoaufnahmen mit dem sogenannten Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar ist. Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in dieses allgemeine Persönlichkeitsrecht ein, besteht auf der anderen Seite das Interesse an einer Verwertung und damit an der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege. Schließlich hat das Gericht die Wahrheit zu ermitteln. Freilich muss sich aber die Videoüberwachung gerade als die Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung erweisen, die nach den oben genannten Grundsätzen verfassungsmäßig gerechtfertigt ist.

Anhand dieser Maßstäbe prüfte das BAG nun § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG. Dabei stellte es zunächst die Frage, wann ein konkreter Verdacht einer Straftat oder einer anderen schweren Verfehlung gegeben ist. Allgemeine Mutmaßungen reichen dafür nicht aus, der Verdacht muss sich aber nicht notwendig gegen einen einzelnen Arbeitnehmer richten. Die hier vorliegenden Inventurdifferenzen im Lager und die bereits durchgeführten Betretungs- und Entnahmeverbote rechtfertigten jedoch nach Auffassung des BAG eine Videoüberwachung. Im Übrigen – weitere Inventurdifferenzen nach den Verboten vorausgesetzt – reicht ein sog. Anfangsverdacht im Sinne eines einfachen Tatverdachts aus. Das BAG stellt ausdrücklich klar, dass der Verdacht nicht etwa dringend, im Sinne eines hohen Grades von Wahrscheinlichkeit für das Begehen einer Straftat vorliegen muss, es genügen hinreichend konkrete Tatsachen, die für die Begehung einer Straftat sprechen, aus. Der Arbeitgeber kann also unter den gleichen Voraussetzungen Straftaten in seinem Betrieb erforschen, wie dies die Staatsanwaltschaft bei allen anderen Straftaten auch tun könnte.

Es standen dem Arbeitgeber auch keine weniger einschneidenden Mittel zur Verfügung. Der Arbeitgeber hatte bereits mit den Lagerarbeitern gesprochen. Das BAG stellt ausdrücklich fest, dass weitere Gespräche mit den Kfz-Mechanikern nicht in gleicher Weise erfolgversprechend gewesen wären.

Auch musste der Arbeitgeber bevor er die Videoüberwachung installierte, keine Taschenkontrollen als mildere Mittel durchführen. Solche Kontrollen treffen typischerweise die Privatsphäre aller Arbeitnehmer und es wären alle Arbeitnehmer, auch jene, die sich an das Betretungs- und Entnahmeverbot im Lager gehalten hatten, einbezogen gewesen. Dem gegenüber traf die Videoüberwachung den Kläger weder in seiner Intim- noch in seiner Privatsphäre. Für die Angemessenheit spricht auch die räumliche Begrenzung der Videoüberwachung auf das Lager.

Nach allem durften die Videoaufnahmen nicht nur erhoben, sondern auch verarbeitet und genutzt werden, weil dies für die Entscheidung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich war. Das BAG stellt des Weiteren fest, dass der Kläger bisher keine Anhaltspunkte für die Rechtfertigung eines Beweisverwertungsverbotes vorgelegt hat.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass das BAG die 2-Wochen-Frist, innerhalb derer gekündigt werden muss, nicht als verstrichen ansah. Zwischen der Kenntnis des Arbeitgebers von dem Grund für eine fristlose Kündigung und dem Ausspruch der Kündigung dürfen nicht mehr als 14 Tage liegen. Zwar lagen zwischen der Diebstahltat am 15. Juli 2014 und dem Tag der Sichtung am 06. August 2014 drei Wochen, der allein vertretungsberechtigte Geschäftsführer des Kfz-Vertragshändlers hatte allerdings erst am 07. August 2014 Kenntnis von dem Diebstahl durch den Arbeitnehmer. Auf die Kenntnis anderer Arbeitnehmer (Betriebsleiter, er hatte die Videoaufnahmen am 06. August 2014 gesichtet, Buchhalter, die etwa einen weiteren Fehlbestand hätten feststellen können, andere Mitarbeiter, die etwas gesehen haben könnten), kommt es bei der fristlosen Kündigung nicht an. Es ist allein die Kenntnis des Arbeitgebers maßgeblich.

 

Für die Praxis

Stellt das Hörakustik-Unternehmen Verluste an Betriebsmitteln der Firma fest, bildet sich schnell die Überzeugung, dass diese wegen Diebstahls eintreten. Aber Vorsicht: Die bloße Vermutung, ein Mitarbeiter könnte eine oder mehrere Dinge entwendet haben, reicht für eine Videoüberwachung nicht aus. Die vorliegende Entscheidung des BAG fordert einen sogenannten Anfangsverdacht, sowie ihn auch die Staatsanwaltschaften haben müssen, um tätig zu werden.

Hierfür sind zureichende tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, die das Vorliegen eines oder mehrerer Diebstähle wahrscheinlich machen. Die zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte müssen sich in dieser Phase nicht auf eine bestimmte schon verdächtige Person beziehen. Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, wenn nach kriminologischer Erfahrung eine Straftat möglich erscheint. Das ist ein sehr geringer Wahrscheinlichkeitsgrad. Also immer dann, wenn der Arbeitgeber meint, hier gehe etwas nicht mehr mit rechten Dingen zu, wäre eine Videoüberwachung denkbar. Das können Fehlbestände in Lagern, der Kasse oder im Werkstattbereich sein, die nach vergeblichen Aufklärungsversuchen fortbestehen und immer wieder auftauchen. Zu den tatsächlichen Anhaltspunkten gehören auch Andeutungen, Hinweise und Aussagen von Arbeitnehmern, auch wenn sie anonym erfolgen. Der Arbeitgeber hat bei einem Anfangsverdacht zu einer Straftat einen weiten Beurteilungsspielraum, lediglich bloße Vermutungen reichen nicht aus. Gleichfalls darf die Beurteilung nicht willkürlich sein. Liegen aber zureichende konkrete Anhaltspunkte für den Diebstahl vor, ist die Videoüberwachung erforderlich. Unter Umständen kann es erforderlich sein, alle Betriebsräume zu überwachen.

Praxistipp 1: Ist auf einem Videofilm ein konkreter Täter erkennbar, kommt es auf die Kenntnis des Arbeitgebers an. Die Kenntnis anderer Arbeitnehmer von der Straftat sind nicht relevant. Erst bei Kenntnis des Arbeitgebers selbst, also des Betriebsinhabers bzw. des Geschäftsführers, beginnt die 14-Tage-Frist, innerhalb derer fristlos gekündigt werden muss. Also nur wenn der Arbeitgeber weiß, wer der Dieb ist, kann es zur fristlosen Kündigung kommen, auch wenn die Diebstahlstaten bereits länger zurückliegen.

Praxistipp 2: Möchte der Hörakustiker in allen Räumen seines Unternehmens, also nicht nur im öffentlich zugänglichen Teil, Videokameras installieren, kann er das mit schriftlicher Einwilligung seiner Arbeitnehmer bewerkstelligen. Damit können dann sehr peinliche Personal- bzw. Entlassungsgespräche vermieden werden. Schließlich wissen alle Beteiligten Bescheid und strafrechtlich relevantes Fehlverhalten findet mangels einer möglichen Heimlichkeit erst gar nicht statt. Denn die Erkenntnis aus der Auswertung von Videoaufnahmen ist doch oft sehr überraschend, geht es doch auch um Vertrauen. So kann der überraschende Ausruf: „Schau mal, wer ist das denn!“, erspart werden. Mit dem gefilmten Arbeitnehmer wird dann auch das peinliche Gespräch vermieden: „Wir würden Ihnen gerne mal einen Film zeigen und Sie ahnen nicht, wer darin die Hauptrolle spielt!“. Das Urteil zum Fall lesen Sie hier.

Peter Rademacher • biha

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