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Werbeaussagen müssen der Wahrheit entsprechen. Dieses Wettbewerbsgebot, das sich im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb manifestiert, gilt für Medizinprodukte ‒ wie Hörsysteme – noch einmal in verschärfter Form. Nach Paragraf 3 Satz 3 Nr. 1 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) liegt eine Irreführung der angesprochenen Kunden dann vor, wenn Medizinprodukten eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie tatsächlich nicht haben. Es sind also Nachweise darüber erforderlich, ob ein Produkt eine therapeutische Wirkung hat, welche in der Werbung des Hörakustikers versprochen wird. Über Nachweise bezüglich der therapeutischen Wirkung eines Medizinprodukts durch eine CE-Zertifizierung und die Beweisverteilung  hatte das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hinsichtlich eines Mittels zum Abnehmen zu entscheiden (OLG Hamburg, Urteil vom 12.12.2019, Az.: 3U 14/19).

Werbung mit medizinischen Aussagen schafft ein gutes Fundament für eine Glaubhaftigkeit der Wirkung eines Medizinprodukts. Gerade im Bereich des Vertriebs von Medizinprodukten, insbesondere von Hörsystemen, könnten Aussagen beispielsweise zu den medizinischen Eigenschaften eines Hörsystems, zu den Methoden der Anpassung, zur Vor- und Nachbetreuung des Kunden, zu besonderen Methoden zur Aktivierung des Gehörs oder zur Heilung oder Minderung anderer Krankheiten (zum Beispiel Alzheimer oder Demenz) einen Wettbewerbsvorsprung ermöglichen. Aber Vorsicht, hierfür benötigt der werbende Hörakustiker im Einzelfall ein Gutachten. Dieses muss bestimmte hohe Anforderungen erfüllen. Insoweit spricht der Bundesgerichtshof davon, das Gutachten müsse einen sogenannten „Goldstandard“ erfüllen. Dieser „Goldstandard“ verlangt, von Ausnahmen abgesehen, eine randomisierte (zufallsorientierte), placebokontrollierte (ein Teil der Probanden erhält eine Scheinanwendung), sogenannte Doppelblindstudie. In seltenen Ausnahmefällen, vor allem bei Hilfsmitteln, reicht manchmal eine auf Studien basierende Einzelfallprüfung, bei welcher weitere Umstände hinzukommen müssen. „Goldstandard“ heißt in diesem Zusammenhang, die Studien müssen eine besondere Werthaltigkeit aufweisen, wie eine Banknote, auf welcher vor 1923 geschrieben stand: „Gegen Vorlage dieser Banknote erhalten Sie bei jeder Landeszentralbank den Gegenwert in Gold.“ Ob eine CE-Zertifizierung hierfür ausreicht, hatte das OLG Hamburg zu entscheiden.

 

Sachverhalt

Der Vertreiber eines durch den Mund einzunehmenden Schlankheitsmittels warb für dieses Produkt laut Umverpackung, dass dieses Mittel „zur unterstützenden Behandlung von Übergewicht, Adipositas und zur Gewichtskontrolle im Rahmen einer kalorienarmen Ernährung“ geeignet sei. In der Gebrauchsanweisung heißt es, dass Mittel „wird im Rahmen einer kalorienarmen Ernährung von Erwachsenen angewendet zur Behandlung von Übergewicht (BMI ³ 25), Behandlung von Adipositas (BMI ³ 30), Gewichtskontrolle.“ BMI bedeutet Body-Mass-Index. Ein Verein zur Förderung des Wettbewerbs mahnte diese Werbeaussage ab, weil die Werbung den falschen Eindruck erwecken würde, dass die der Behandlung zugeschriebene Wirkung wissenschaftlich abgesichert sei. Hiergegen wandte das beklagte Unternehmen ein, es existierten Studien zu dem entsprechenden möglichen Behandlungserfolg. Dieser Aussage widersprach der klagende Wirtschaftsverband, die Studie sei mittlerweile überholt und widerlegt. Hinzu käme, dass die Studie zur Anwendung des Mittels unter teils drastischer Reduzierung der Kalorienaufnahme erstellt worden sei. Da der Vertreiber des Schlankheitsmittels die Abmahnung nicht unterzeichnete, hat der Wirtschaftsverband die Firma auf Unterlassung verklagt.

 

Rechtliche Würdigung

Das OLG Hamburg kommt im Ergebnis dazu, dass die Werbung gegen Paragraf 3 Abs. 2 Nr. 1 HWG verstößt. Danach liegt eine Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise vor, wenn Medizinprodukten eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben. Zunächst nimmt das Gericht eine wertende Betrachtung der Werbeaussage vor. Dabei wird der durchschnittlich interessierte und informierte Verbraucher bemüht. Dieser Verbraucher verstehe die Werbeaussage so, dass die behauptete therapeutische Wirkung im Rahmen einer kalorienarmen Ernährung die Gewichtsabnahme beziehungsweise das längerfristige Halten eines bestimmten Gewichts fördere. Der angesprochene Verkehr erwarte von dem Produkt einen unterstützenden Beitrag bei der Behandlung von Übergewicht, Adipositas und der Gewichtskontrolle im Rahmen einer kalorienarmen Ernährung. Für eine derartige Wirkung fehle es jedoch an hinreichenden wissenschaftlichen Nachweisen.

Zunächst stellt das OLG Hamburg fest, wer denn für die Richtigkeit der Angaben in der streitigen Werbung die Beweislast trägt. Grundsätzlich treffe auch bei der sogenannten gesundheitsbezogenen Werbung den Kläger die Darlegungs- und Beweislast für die Unrichtigkeit der Werbeaussage. Trägt hingegen der Kläger substanziiert das Fehlen einer wissenschaftlichen Grundlage vor, so sei es Aufgabe des werbenden Beklagten, die wissenschaftliche Absicherung der gesundheitsbezogenen Werbeabgaben zu beweisen (so das OLG unter Berufung auf den Bundesgerichtshof). Diese Grundsätze würden auch für Medizinprodukte gelten. Der Beweis könne jedoch nicht durch den Verweis auf die CE-Zertifizierung geführt werden. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des Paragrafen 6 Abs. 4 des Medizinproduktegesetzes (MPG), wonach die Durchführung des Konformitätsverfahrens die zivilrechtliche Verantwortlichkeit des Herstellers, und damit auch Ansprüche aus dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb unberührt lässt. Eine Ausnahme bestehe dann, wenn ein Verwaltungsakt die Werbung erlaube. Da die Benannte Stelle, welche das CE-Kennzeichen vergebe, eine private und nicht beliehene Stelle sei, habe die CE-Zertifizierung nicht den Charakter eines Verwaltungsakts. Beliehene Stellen sind mit öffentlich-rechtlichen Aufgaben betraute privatrechtliche Institutionen (so der Arbeitgeber für das Abführen der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge, ein Abschleppunternehmen, welches im Auftrag einer Kommune Fahrzeuge aus dem Halteverbot abschleppt und so weiter).

Der Unterlassungsanspruch wird auch nicht durch das Behinderungsverbot des Artikels 4 der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte beseitigt. Das Behinderungsverbot der Richtlinie führe nicht dazu, dass die Verantwortlichen davon entbunden wären, den Nachweis der Richtigkeit von Werbeaussagen in Bezug auf die Zweckbestimmung des CE-zertifizierten Produkts zu führen. Es sei nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Benannte Stelle geprüft habe, ob das Produkt bei Behandlung von Übergewicht, Adipositas sowie Gewichtskontrolle einen Beitrag leistet. Denn nach den zu Gericht gereichten Unterlagen der Beklagten sei nur ein Qualitätsmanagementsystem zertifiziert worden. Die Prüfung habe lediglich technische Sicherheitsüberprüfungen und -überwachungen beinhaltet. Eine Überprüfung der Wirkungen und therapeutischen Wirksamkeit habe nicht stattgefunden. Jedenfalls sei ein Klassifizierungsverfahren gewählt worden, welches ausschließlich das Qualitätssicherungssystem der Beklagten geprüft hat. Auch dies spräche gegen eine Untersuchung der therapeutischen Wirksamkeit durch die Benannte Stelle.

Der Wortlaut der Richtlinie 93/42/EWG über Medizinprodukte zeige, dass bei der CE-Zertifizierung vorrangig die Qualitätssicherung und nicht die Wirkung beziehungsweise die therapeutische Wirksamkeit geprüft werde. Dies sei gerade nicht Ziel der CE-Zertifizierung.

Grundsätzlich muss die therapeutische Wirkung und Wirksamkeit eines Medizinprodukts durch eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelstudie mit adäquaten statistischen Auswertungen nachgewiesen werden. Durch Veröffentlichung der Studie muss diese in den Diskussionsprozess der Fachwelt einbezogen sein („Goldstandard“, so Bundesgerichtshof, BGH-Urteil vom 06.02.2013, Az.: 1 ZR 62/11 GRUR 2013, Seite 649, Seite 654, Rd. Nr. 45). Eine derartige Studie habe die Beklagte zu keiner Zeit vorgelegt.

Eine Ausnahme gelte dann, wenn bei bestimmten Medizinprodukten der Wirknachweis anhand objektiv messbarer Ergebnisse geführt werde. Dabei dürfe dann aber nicht die Gefahr bestehen, dass subjektive Empfindungen der Teilnehmer das Studienergebnis verzerren. Darüber hinaus muss eine Einzelfallprüfung hinsichtlich des Nachweises der wissenschaftlichen Absicherung anhand vorgelegter Studien und weiterer Umstände erfolgen. Auch eine derartige wissenschaftliche Untersuchung lag dem OLG Hamburg nicht vor, was das OLG im Einzelnen ausführt. Nach allem hat das OLG dem Unterlassungsantrag des klagenden Wirtschaftsverbands stattgegeben.

 

Für die Praxis

Zunächst ist festzustellen, dass bestimmte Werbeaussagen, auch wenn überhaupt keine Studie benannt ist, so wirken können, als seien sie wissenschaftlich abgesichert, weil sie eine angebliche therapeutische Wirksamkeit oder Wirkung besitzten. Bei Werbeaussagen des Hörakustikers ist also bereits hier Vorsicht geboten. Denn die Gerichte bestimmen autonom, wie die Werbeaussage zu verstehen ist. Dabei bemühen sie den sogenannten Referenzverbraucher als durchschnittlich interessierten und informierten Verbraucher. Es geht also in einem ersten Schritt gar nicht darum, ob mit Gutachten geworben wird, welche die Werbeaussagen tragen können oder auch nicht. Es geht um die Werbeaussage selbst. Beinhaltet diese das Versprechen einer therapeutischen Wirksamkeit oder Wirkung, was das Gericht unter Umständen autonom auslegen kann, müssen entsprechende Gutachten vorliegen. Hier ist also vonseiten des Hörakustikers erhöhte Aufmerksamkeit und Sorgfalt geboten. Die Gefahr steigert sich dadurch, dass sich die Beweislast zuungunsten des werbenden Hörakustikers auf diesen verlagern kann. Die Werbung mit beispielsweise einer bestimmten Anpassmethode oder einer bestimmten Gehörschulung zur Verbesserung des Gehörs oder Ähnlichem wäre abmahnfähig, wenn diese Methode nicht durch Studien (Achtung: „Goldstandard“) wissenschaftlich eine medizinische Verbesserung erwarten lassen können. Denn die Verbesserung der Hörfähigkeit ist eine therapeutische Wirkung. Deshalb sind derartige Werbeaussagen, ohne eine („Goldstandard“-) Studie oder mehrere Studien, bei welchen der subjektive Einschlag ausnahmsweise fehlen darf, unbedingt zu vermeiden.

Auch eine bloße CE-Zertifizierung einer Benannten Stelle reicht in der Regel für Werbeaussagen über therapeutische Wirksamkeiten oder Wirkungen nicht aus. Dies wäre nur dann der Fall, wenn der Zweck oder die Bestimmung der Werbeaussage mit dem Hörsystem beziehungsweise der Methode von der Benannten Stelle im Zertifizierungsverfahren mit überprüft würde. Dabei sind aber wiederum die Regeln über die Studienqualität maßgeblich. Die Benannte Stelle müsste eine Doppelblindstudie erstellen (zufallsbedingt und placebokontrolliert). Ausnahmsweise darf die Kontrolle mithilfe eines Placebos fehlen, wenn das Gutachten über das Medizinprodukt im Ergebnis nicht durch subjektive Empfindungen verzerrt werden kann. Das ist möglicherweise bei objektiv audiologisch messbaren Hörsystemen oder Methoden der Fall, aber auch dann sind mehrere Studien erforderlich und es müssen weitere Umstände zur wissenschaftlichen Absicherung gegeben sein.

Deshalb muss der Hörakustiker mit Werbeaussagen, die eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkung als möglich versprechen, sehr vorsichtig sein, riskiert er doch bei einer nichtstudienbelegten Aussage eine Abmahnung. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn sich der Hörakustiker fremde Studien zu eigen macht. Auch für diese trifft ihn im Falle eigener Werbung die Verantwortung. So kann er die angeblich studienbasierte Werbeaussage eines Herstellers oder Händlers verwenden. Dabei kann er sich jedoch nicht darauf verlassen, dass diese Studie den sehr hohen Anforderungen der deutschen und europäischen Rechtsprechung (Doppelblindstudie) entspricht, welche in der Regel den „Goldstandard“ fordern. Denn es ist nicht alles Gold, was glänzt.

Das Urteil 1 zum Fall lesen Sie hier.

Das Urteil 2 zum Fall lesen Sie hier.

Peter Radmacher • biha

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