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Keine Betriebsstätte im Gesundheitshandwerk ohne Meister – auch nicht in den Räumen einer Arztpraxis. Das stellt der Bundesgerichtshof (BGH) in einem beachtenswerten Urteil vom 16.06.2016 klar (I ZR 46/15 – Orthopädie­techniker). Denn: eine nicht qualifizierte Ausübung von Gesundheitshandwerken kann weitreichende Folgen haben.

 

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall hatte der BGH zu entscheiden, ob die sogenannte Meisterpflicht auch gilt, wenn ein Gesundheitshandwerk in den Räumen einer Facharztpraxis ausgeübt wird. Konkret ging es um einen Orthopädietechnikbetrieb, der sein Handwerk einerseits im eigenen Fachgeschäft, andererseits aber auch in den Praxisräumen anbot. Das in der Handwerksrolle eingetragene Fachgeschäft des Orthopädietechnikers und die Facharztpraxis lagen hierbei mehr als 40 Kilometer voneinander entfernt. Die Ärzte, die die Facharztpraxis betreiben, hatten dem Gesundheitshandwerker im Übrigen nicht nur die Räumlichkeiten zur Ausübung seines Handwerkes überlassen, sondern auch geduldet, dass in der Praxis Wegweiser zu diesen Räumen aufgestellt wurden.

Ein Wettbewerber vor Ort hielt sowohl die handwerkliche Tätigkeit in der Facharztpraxis als auch das Aufstellen der Hinweisschilder für rechtswidrig – und klagte auf Unterlassung. Nachdem er in erster und zweiter Instanz noch unterlegen war, zog der Wettbewerber schließlich vor den BGH. Und das höchste deutsche Zivilgericht gab ihm Recht: Der BGH hob das Urteil des Oberlandesgerichtes, das die Klage in zweiter Instanz abgewiesen hatte, auf.

 

Entscheidungsbegründung

Zunächst macht der BGH deutlich: Die in der Handwerksordnung normierte Meisterpflicht ist eine Marktverhaltensregel im Sinne des Wettbewerbsrechtes. Daher können andere Handwerksbetriebe, die sich durch Verstöße gegen die Meisterpflicht benachteiligt sehen, wettbewerbsrechtlich dagegen vorgehen.

Der BGH stellt fest, dass die Ausübung des Gesundheitshandwerkes in den Räumen der Facharztpraxis als reguläre Betriebsstätte des Handwerksbetriebes anzusehen ist. Und für eine solche Betriebsstätte gelte das Gebot der Meisterpräsenz. An diesem Punkt betont der BGH ausdrücklich: In den Gesundheitshandwerken, in denen eine unzureichende Handwerkstätigkeit besonders weitreichende Folgen haben kann, erfordert das Gebot der Meisterpräsenz – von ganz engen Ausnahmefällen abgesehen – für jede einzelne Betriebsstätte eine ständige Anwesenheit des Meisters.

Keinesfalls, so der BGH weiter, stelle die handwerkliche Tätigkeit in den Räumen der Facharztpraxis einen bloßen Nebenbetrieb dar, für den – sofern er nur in unerheblichem Umfang ausgeübt wird – die Meisterpflicht entfallen könnte. An dieser maßgeblichen Stelle korrigiert der BGH das Urteil der Vorinstanz. Ein Nebenbetrieb im Sinne der Handwerksordnung sei weder im Verhältnis zu dem in der Handwerksrolle eingetragenen Fachgeschäft des Orthopädietechnikers anzunehmen, noch im Verhältnis zu den in der Facharztpraxis tätigen Medizinern. Der selbstständige Handwerker übe in den Praxisräumen Arbeiten im eigenen wirtschaftlichen Interesse aus, die er so oder ähnlich auch am Stammsitz seines Unternehmens anbietet. Daher sei hier kein irgendwie geartetes Verhältnis von Haupt- und Nebenbetrieb anzunehmen, sondern ein regulärer Filialbetrieb, der zu jeder Zeit, wenn handwerkliche Leistungen erbracht werden, von einem Meister geleitet werden muss.

Nicht entscheidend ist aus Sicht des BGHs, ob die Betriebsstätte des Gesundheitshandwerkers, die sich in den Räumen der Facharztpraxis befindet, auch die Voraussetzungen einer Zweigniederlassung im Sinne der Gewerbeordnung erfüllt. Unerheblich seien etwa eine wirtschaftliche Abhängigkeit der Filiale oder der Umstand, dass alle kaufmännischen und personellen Angelegenheiten am Stammsitz des Unternehmens erledigt werden. Maßgeblich sei allein, ob das Unternehmen in den Räumen der Arztpraxis das Gesundheitshandwerk ausübt: Und solange dies der Fall ist, muss auch die Meisterpräsenz gewahrt sein.

In diesem Zusammenhang verdeutlicht der BGH, dass die in der Handwerksordnung normierte Meisterpflicht verfassungsgemäß ist. Der damit verbundene Eingriff in die Berufsfreiheit nach Artikel 12 des Grundgesetzes sei im Hinblick auf die geschützten Gesundheitsinteressen der Bevölkerung gerechtfertigt. Der BGH bekräftigt damit seine bisherige Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit des Meistervorbehaltes.

Auch die in der Facharztpraxis aufgestellten Wegweiser zu den vom Gesundheitshandwerker genutzten Räume sind nach Auffassung des BGHs rechtswidrig. Das Gericht sieht in diesen Hinweisschildern eine unzulässige Empfehlung der Mediziner für einen bestimmten Leistungserbringer und damit einen Verstoß gegen die einschlägige Berufsordnung der Ärzte. Diese ärztliche Berufsordnung wiederum sei – ebenso wie die oben erwähnten Bestimmungen der Handwerksordnung – eine Marktverhaltensregelung im Sinne des Wettbewerbsrechtes. Nach Auffassung des BGHs ist zudem auch eine Haftung des Handwerksbetriebes für das wettbewerbswidrige Verhalten der Ärzte möglich. Der Handwerker sei zwar nicht Adressat der ärztlichen Berufsordnung und könne daher nicht Täter der wettbewerbswidrigen Handlung sein; möglich sei jedoch eine (Mit-)Haftung für den Wettbewerbsverstoß als Anstifter oder Gehilfe. Maßgeblich seien hier die im allgemeinen Delikts- beziehungsweise Strafrecht geltenden Bestimmungen. Auch gegen das Aufstellen der Wegweiser konnte sich der klagende Wettbewerber daher zur Wehr setzen.

 

Für die Praxis

Das Urteil des BGHs ist aus mehreren Gründen zu begrüßen. Das oberste deutsche Zivilgericht bestätigt die Verfassungsmäßigkeit der Meisterpflicht in den zulassungspflichtigen Handwerken. Darüber hinaus macht der BGH deutlich, dass jede Betriebsstätte, in der qualifizierte Arbeiten aus dem Gesundheitshandwerk ausgeübt werden, der ständigen Anwesenheit eines Meisters bedarf. Und eine solche meisterpflichtige Betriebsstätte – und nicht nur ein bloßer Nebenbetrieb – ist auch anzunehmen, wenn ein Gesundheitshandwerker Räume einer Facharztpraxis für sein Handwerk nutzt. Schließlich macht das oberste Gericht noch deutlich, dass es wettbewerbswidrig ist, wenn niedergelassene Ärzte einen bestimmten Leistungserbringer empfehlen – und dass eine solche Empfehlung bereits vorliegen kann, wenn das Aufstellen von Schildern geduldet wird, mit denen auf den im Gesundheitshandwerk tätigen Betrieb hingewiesen wird. Das Urteil zum Fall lesen Sie hier.

Matthias Schober • biha

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