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Manchmal fragt sich der Meister der Hörakustik, warum er sich bei der Handwerkskammer in die Handwerksrolle eintragen lassen muss. Viele Gewerbetreibende um ihn herum kommen auch ohne eine solche Regelung aus. Aber: Der Gesetzgeber hat die Regelungen des Handwerksrechts im Hinblick auf die Gefahrgeneigtheit vieler Gewerke erlassen und so die Berufsausübungsregeln des Grundgesetzes eingeschränkt. Mancher Zeitgenosse mag das nicht einsehen und versucht, an der Handwerksordnung (HwO) vorbei seine Dienstleistungen ohne Handwerksrolleneintrag anzubieten. „Geht nicht!“, sagt in einer aktuellen Entscheidung das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe (Urteil vom 10.01.2024, Az.: 6 U 28/23).

Die Ausbildung zum Hörakustiker macht in mehrfacher Hinsicht Sinn: Zum einen kann man einen Beruf erlernen, der Menschen in ihrem Alltag in umfassender Weise weiterhilft. Des Weiteren bietet der Beruf das Rüstzeug für einen Teilbereich der Gesundheitshandwerke, welches einen Experten in der Hörakustik ausmacht. Dahinter steht aber noch mehr. Der Hörakustiker ist mit verschiedensten Geräten und Werkzeugen am Kopf des Kunden tätig. Hier regelt die Handwerksordnung (HwO) das Marktverhalten der Anbieter, auch der Hörakustiker, um eine hervorragende Qualität, die Sicherheit und Gesundheit des Kunden und die Unbedenklichkeit der Produkte zu gewährleisten. Denn nur ein in die Handwerksrolle eingetragener Meister der Hörakustik garantiert die genannten Parameter. Zur Frage der Meisterpräsenz nimmt das OLG Karlsruhe in der hier besprochenen Entscheidung Stellung. Eine Friseurin ohne Eintragung in die Handwerksrolle hatte folgendes Geschäftsmodell: Kunden konnten in einem Onlinekalender die Friseurin zu sich nach Hause bestellen. Die Friseurin war nicht in die Handwerksrolle als Meisterin eingetragen.

 

Sachverhalt

Der Kläger betreibt in einem Landkreis in Baden-Württemberg einen in die Handwerksrolle eingetragenen Friseursalon, in welchem die Beklagte zuvor Angestellte war. Die beklagte Friseurin war in demselben Landkreis als selbstständige mobile Friseurin tätig. Sie verfügt über keinen stehenden Handwerksbetrieb. Sie war nach einer vom Landratsamt ausgestellten Reisegewerbekarte berechtigt, friseurhandwerkliche Dienstleistungen anzubieten. Diese Friseurin war nicht in die Handwerksrolle eingetragen. Sie warb im Internet wie folgt: „Hi, ich bin X, Farbspezialistin und mobile Friseurin. Ich bringe dir dein exklusives Friseur­erlebnis zu dir nach Hause. Es gelten die allgemeinen Geschäftsbedingungen ... – Vertragspartner – Der Dienstleistungsvertrag kommt zustande mit Y Inhaber. Durch Anklicken des Buttons [Termin buchen oder kontaktieren über WhatsApp um einen Termin zu buchen oder bei Buchen eines Folgetermins vor Ort] gehen Sie einen verbindlichen Vertrag der Dienstleistung ein. Ihre Dienstleistung kommt zustande, wenn Sie einen Termin bei mir buchen.“ Y ist ein externer Dienstleister, welcher Dienstleistungserbringern die automatisierte Vergabe von Terminen ermöglicht. Das klagende Unternehmen des Friseurhandwerks hatte zuvor die „mobile Friseurin“ vergeblich abgemahnt.

 

Rechtliche Würdigung

Im Ergebnis hat das OLG Karlsruhe der „mobilen Friseurin“ und Beklagten die Werbung über eine Internetplattform zur automatisierten Vergabe von Terminen, bei denen sich Kunden die Haare schneiden lassen können, verboten. Das Verbot stützt das OLG Karlsruhe auf § 1 Abs. 1 Satz 1 der Handwerksordnung, wonach der selbstständige Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks als stehendes Gewerbe nur den in der Handwerksrolle eingetragenen Handwerksbetrieben gestattet ist. Diese Regelung der HwO sei eine Marktverhaltensregelung. Diese gelte auch und vor allem für das Friseurhandwerk (§ 1 Abs. 2 HwO in Verbindung mit (i. V. m.) Nr. 38 Anlage A zur HwO).

Der Mitbewerber verhält sich unlauter, wenn er einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Der Verstoß muss geeignet sein, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar zu beeinträchtigen. Geregelt ist dies in § 3a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Insoweit hat die beklagte „mobile Friseurin“ der Vorschrift des § 1 HwO i. V. m. § 3 UWG zuwidergehandelt, da sie nicht in die Handwerksrolle eingetragen war. Die Vorschriften der Handwerksordnung seien, soweit sie eine bestimmte Qualität, Sicherheit oder Unbedenklichkeit der hergestellten Waren oder angebotenen Dienstleistung gewähren sollen, Marktverhaltensregeln.

 

Bezug zum Gesundheitshandwerk

Das OLG führt aus, dass die hier in Rede stehende Regelung des § 1 HwO eine Bestimmung sei, die einerseits einen Sicherheits- und – jedenfalls bei Gesundheitshandwerken (§ 1 Abs. 2 HwO i. V. m. Nr. 33 – 37 Anlage A zur HwO) wie z. B. dem des Orthopädie­technikers oder Orthopädieschuhmachers (gemeint sind natürlich auch die Hörakustiker) – einen Gesundheitsbezug haben. Dieser Gesundheitsbezug findet sich auch in den europarechtlichen Regelungen und ist damit europarechtlich abgesichert.

Diese Regelungen, welche für die Gesundheitshandwerke gelten, überträgt das OLG ausdrücklich auf das Friseurhandwerk. Dieses Handwerk werde namentlich unter Verwendung von Scheren und Messern ausgeübt. Die damit einhergehenden Gefahren für die Gesundheit und Sicherheit des Kunden müssen von dem Friseurhandwerker beherrscht werden.

 

Reisegewerbekarte

In Hinblick auf die von dem zuständigen Landratsamt erteilte Reisegewerbekarte stellt das OLG unter Bezug auf das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Regeln der HwO die Gewerbefreiheit einschränken dürfen. Insoweit sind die Regeln der HwO einschränkende Berufsausübungsregeln. Das Reisegewerbe darf die Schwelle zum erlaubnispflichtigen stehenden Handwerk nicht überschreiten.

 

Stehendes Gewerbe

Des Weiteren stellt das OLG fest, dass es sich bei der von der beklagten „mobilen Friseurin“ ausgeübten Tätigkeit nicht um ein Reisegewerbe handelt. Das OLG grenzt dann das Reisegewerbe vom stehenden Gewerbe nicht danach ab, ob eine gewerbliche Niederlassung vorhanden ist, sondern nach der Art und Weise der Anbahnung des Kundenkontakts. Reisegewerbe liege nur dann vor, wenn die Leistung ohne vorherige Bestellung angeboten werde. Der Gewerbetreibende bzw. der Handwerker müsste Bestellungen suchen. Die Initiative zur Erbringung der Leistung liegt im Reisegewerbe bei dem Anbietenden, während beim stehenden Handwerksbetrieb der Kunde um Angebote nachsucht. Den Anstoß zur Anbahnung eines Vertragsschlusses gibt dann vielmehr der Gewerbetreibende, der seine gewerbliche Tätigkeit temporär dann außerhalb seiner Niederlassung anbietet. Beispielsweise könnte der Anbietende von Haustür zu Haustür gehen und fragen, ob eine Dienstleistung gewünscht wird oder potenzielle Kunden anrufen.

Im vorliegenden Fall lag bereits deshalb kein Reisegewerbe vor, weil die Friseurin unter Einbeziehung eines Internetdienstleisters die Kunden zur automatisierten Vergabe von Terminen aufforderte. Im Falle einer solchen Terminbuchung ist es der Kunde, der initiativ durch Kontaktaufnahme mit der „mobilen Friseurin“ in Geschäftsverbindung tritt. Des Weiteren ergibt sich das stehende Gewerbe auch da­raus, dass die „mobile Friseurin“ zur Kontaktaufnahme eine Telefonnummer angegeben hat. Aus Sicht des angesprochenen Durchschnittsverbrauchers ist die Angabe einer Telefonnummer im Zusammenhang mit dem Hinweis darauf, dass der Werbende Dienste des Friseurhandwerks erbringe, jedenfalls nach den Umständen der vorliegenden Werbung, so zu verstehen, dass der Kunde initiativ werden muss. Also auch hier sucht nicht die Friseurin die Kunden, sondern die Kunden suchen den Friseur. Nach Auffassung des OLGs liegt nach allem kein Reisegewerbe vor.

Das OLG stellt weiter fest, dass die ausstellende Behörde für die Reisegewerbekarte nicht darüber entschieden habe, ob die daraufhin konkret ausgeübte Tätigkeit der Beklagten als „genehmigtes Reisegewerbeverhalten möglich und zulässig“ sei.

 

Marktverhaltensregel

Nach § 3a des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) muss eine Marktverhaltensregel die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmern oder Mitbewerbern spürbar beeinträchtigen. Das OLG stellt ausdrücklich fest, dass Verstöße gegen Marktverhaltensregeln ohne Weiteres geeignet sind, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen, wenn sie den Schutz der Gesundheit der Verbraucher bezwecken oder der Sicherheit der Verbraucher dienen. Letzteres sei bei den §§ 1, 7 HwO der Fall, weil der Zweck der Bindung des stehenden Handwerks an die Eintragung in die Handwerksrolle und damit an den Meisterzwang darin liege, Gefahren für die Gesundheit oder das Leben Dritter abzuwenden. Dies gelte jedenfalls für das mit gefährlichem Werkzeug am Körper des Kunden ausgeübte Friseurhandwerk. Wie oben bereits ausgeführt, verwendet der Friseur Scheren und Messer direkt am Kopf des Kunden. Insoweit sieht das OLG, wie oben schon dargelegt, Parallelen zum Gesundheitshandwerk.

Nach allem hat die Beklagte vorliegend gegen die Marktverhaltensregel der §§ 1, 7 HwO (Eintragung in die Handwerksrolle) verstoßen und damit einen Rechtsbruch nach § 3a UWG begangen. Das OLG hat damit die beklagte Friseurin zu Recht auf Unterlassung der Tätigkeiten verurteilt.

 

Für die Praxis

Hausbesuche in der Hörakustik sind sowohl für gesetzlich krankenversicherte Kunden als auch für private Kunden nur schwer durchführbar.

 

Hausbesuche bei gesetzlich krankenversicherten Kunden

Das hörakustische Unternehmen kann grundsätzlich im Bereich der Verträge mit den gesetzlichen Krankenkassen Kunden zu Hause nicht vollständig mit hörakustischen Dienstleistungen und der Anpassung von Hörgeräten versorgen. Dies liegt in erster Linie daran, dass ein hörakustisches Unternehmen der Präqualifizierung unterliegt. Die Präqualifizierung ist keine Scheinveranstaltung, vielmehr gehen die gesetzlichen Krankenkassen sowohl in ihren Verträgen als auch aufgrund der Präqualifizierung davon aus, dass das hörakustische Unternehmen seine Anpassungsdienstleistungen für Hörgeräte stationär im Handwerksbetrieb ausübt.

 

Ausnahme: Medizinisch angezeigte Fälle erfordern Hausbesuch

Eine Ausnahme hiervon sehen die Verträge mit den gesetzlichen Krankenkassen dann vor, wenn ein Hausbesuch in begründeten medizinischen Einzelfällen erforderlich ist. Hier hat der Hörakustiker dann einen weiten Einschätzungsspielraum. Allerdings kann nur der Meister dann einen Hausbesuch durchführen, da nur so die im Gesundheitshandwerk bestehende strenge Meisterpräsenz gewährleistet wird. In Zweifelsfällen sollte eine Rücksprache mit der jeweiligen Krankenkasse erfolgen.

Im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen wäre möglicherweise der Tatbestand des Abrechnungsbetrugs erfüllt, wenn das hörakustische Unternehmen, ohne dass ein begründeter medizinischer Einzelfall vorliegt, flächendeckend hörakustische Leistungen im Rahmen von Hausbesuchen erbringt.

Es ist also gerade bei gesetzlich Krankenversicherten im Fall von Hausbesuchen Vorsicht geboten.

 

Hausbesuche bei privaten Kunden

Dem hörakustischen Unternehmen ist im Bereich der privat krankenversicherten Kunden ebenfalls nicht die Möglichkeit eröffnet, nur mit Gesellen der Hörakustik oder mit anderen Angestellten flächendeckend Hausbesuche ohne Meisterpräsenz durchzuführen und dies auch so zu bewerben.

Die vorliegende Entscheidung zeigt deutlich, dass auch eine Dienstleistung im häuslichen Bereich des privaten Kunden Meisterpräsenz voraussetzt. Hausbesuche, bei denen vollhandwerkliche hörakustische Tätigkeiten erbracht werden, können nicht an einen Gesellen der Hörakustik oder einen anderen Angestellten des Unternehmens delegiert werden. Dies würde, wie oben dargelegt, einen Rechtsmissbrauch darstellen, der abmahnfähig ist.

 

Fazit

Die vorliegende Entscheidung zeigt noch einmal deutlich auf, dass die Gesundheit und die Sicherheit der Verbraucher die Eintragung in die Handwerksrolle erfordern. Hausbesuche sind in der Hörakustik nur ausnahmsweise und nur durch den Meister zulässig, wenn vollhandwerkliche Tätigkeiten zu erfüllen sind. Verstöße gegen dieses Erfordernis können nicht nur wettbewerbsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Insoweit geht der Schutz der Gesundheit der Kunden vor.

 Das Urteil zum Fall lesen Sie hier

Peter Radmacher, Leitung Abteilung Recht, Bundesinnung der Hörakustiker KdöR (biha)

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