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Wirbt ein Hilfsmittelerbringer mit der kostenlosen Abgabe eines Medizinprodukts, verstößt er gegen Paragraf 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG). Dieses Werbeverbot beruht auf der Annahme, dass sich der Verbraucher für das Gratisprodukt entscheidet, ohne zu prüfen, ob das Angebot der Konkurrenz eher seinem Bedarf entsprechen würde. Das Landgericht (LG) Stuttgart hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen einen Optiker noch zurückgewiesen, der Coronahelden (Pflegekräfte und Ärzte) als Dank für ihren Einsatz Gratisbrillen versprach. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart hingegen hat diese Werbung im Berufungsverfahren verboten (OLG Stuttgart, Urteil vom 06.08.2020, Az.: 2 W23/20).

 

Sachverhalt

Ein Unternehmen mit über 140 Augenoptikfachgeschäften in Deutschland veröffentlichte auf seiner Homepage im April 2020 folgende Werbeaussage:

„Wir schenken Ihnen eine neue Brille inklusive Gläsern – große XY-Geschenkaktion [Name des Optikers wurde geändert, Anm. d. Red.] für unsere Helden. Exklusiv für Pflegerinnen, Pfleger, Ärztinnen und Ärzte. Sie alle leisten zurzeit Unglaubliches. XY bedankt sich mit einem Geschenk für Ihren Einsatz. Eine Brille Ihrer Wahl, mit Gläsern in Ihrer Stärke.* Weil Sie für uns da sind und wir etwas für Sie tun wollen. Vielen Dank im Namen von XY und allen Mitarbeitern und Kunden. Es ist toll, dass wir in dieser schwierigen Zeit auf Sie zählen können!“

#dankehelden

*„Sie erhalten eine Brille mit einer Fassung aus den Kollektionen S., B., J., G., O., L., C. ST und mit P-Gläsern. Nur in teilnehmenden XY-Fachgeschäften. Die Aktion ist zeitlich begrenzt bis zum 15. Mai 2020. Liste der teilnehmenden Niederlassungen hier klicken.“

 

Ein Wettbewerbsverein ging gegen diese Werbeannonce des Filialisten vor. Das LG Stuttgart wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung jedoch zurück. Nach Auffassung der Stuttgarter Richter stellt die beanstandete Werbung keine Werbegabe im Sinne des Paragrafen 7 Abs. 1 Satz 1 HWG dar. Es fehlt an der notwendigen Verknüpfung von angekündigtem Vorteil mit einer konkreten Absatzwerbung. Stattdessen ist das Geschenk an die Coronahelden als Dank für deren Einsatz und Leistung gedacht. Das hat zur Konsequenz, dass kein Bezug zum konkreten Warenabsatz besteht. Die angegriffene Werbung ist somit eine sogenannte Imagewerbung (Firmenwerbung). Eine Imagewerbung fällt aber gerade nicht unter das Verbot des Paragrafen 7 HWG. Mit dem Geschenk beabsichtigte der Werbende offenbar vom guten Ruf der Helden zu profitieren, auf die die Werbung abzielte. Der Wettbewerbsverein reichte gegen diese Entscheidung eine sofortige Beschwerde ein. Das OLG Stuttgart gab dem Wettbewerbsverein Recht und hat die Werbung im Berufungsverfahren verboten.

 

Entscheidungsgründe

Das OLG Stuttgart stellte zunächst fest, dass die Werbeaktion eine Absatzwerbung und keine reine Imagewerbung ist. Denn durch das Anpreisen bestimmter Brillenkollektionen, Brillen- und Gläsermarken stellt das Unternehmen sein Leistungsangebot heraus, sodass dies unter die Produktwerbung fällt. An der Eingruppierung als Produktwerbung ändert auch der Umstand nichts, dass die Werbung als Dankaktion für die sogenannten Coronahelden bezeichnet wurde. Denn die Werbebotschaft benennt konkret die jeweiligen Marken für Brillengestelle und Gläser, die zum Leistungsangebot des Optikers gehören. Insofern bleibt durch die produktbezogene Werbung kein Raum mehr für eine allgemeine Firmenwerbung. Das hat zur Konsequenz, dass die streitgegenständliche Werbung aufgrund des erforderlichen Produktbezugs dem Anwendungsbereich des HWGs unterfällt.

Bei der kostenlosen Abgabe einer Brille handelt es sich um eine Werbeabgabe im Sinne des Paragrafen 7 Abs. 1 Satz 1 HWG. Der Begriff einer Werbeabgabe ist weit auszulegen. Er erfasst grundsätzliche jede aus der Sicht des Empfängers nicht berechnete geldwerte Vergünstigung, die im Zusammenhang mit der Werbung für ein bestimmtes oder mehrere konkrete Heilmittel gewährt wird. Es handelt sich also immer dann um eine Werbegabe, wenn der Empfänger die Zuwendung als Geschenk wahrnimmt. Wenn Angehörige der Gesundheitsberufe, also zum Beispiel Optiker oder Hörakustiker, ein Präsent bereiten, ist die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung gegeben. Das Gericht begründete seine Auffassung damit, dass sich die Werbung an Ärzte und Pfleger richtet, also eine Publikumsgruppe angesprochen wird.

Nach den Grundsätzen der Publikumswerbung ist die abstrakte Gefahr einer unsachgemäßen Beeinflussung immer dann anzunehmen, wenn es nach den Umständen nicht fernliegt, dass ein Verbraucher, der eine Brille für die Korrektur einer Sehschwäche benötigt, sich für eine solche vom Werbenden entscheidet. Der Verbraucher tut das dann, ohne zuvor eine von ihm andernfalls vorgenommene Prüfung durchzuführen, ob das Angebot eines anderen Unternehmens seinen persönlichen Bedürfnissen besser entsprechen würde. Folglich besteht die abstrakte Gefahr einer unsachgemäßen Beeinflussung darin, dass der Kunde sich für eine Leistung ‒ hier ein Brillengestell und Brillenglas ‒ entscheidet, ohne die Produkte der Mitbewerber in seine Entscheidung einzubeziehen.

Im Übrigen besteht die Möglichkeit, dass der Kunde aufgrund des erhaltenen Geschenks und der damit verbundenen finanziellen Freiheit weitere Produkte wie zum Beispiel eine Sonnenbrille bei dem Anbieter erwirbt. Nach psychologischen Erkenntnissen sei ein zusätzlicher Einkauf nach einer kostenlosen Leistung oftmals sogar zu erwarten. Denn der Empfänger möchte sich in den meisten Fällen in irgendeiner Weise beim Schenkenden erkenntlich zeigen.

Es liegt auch kein Ausnahmetatbestand des Paragrafen 7 Abs. 1. Satz 1 Nr. 2 HWG vor, insbesondere nicht Paragraf 7 Abs. 1 Nr. 2a HWG. Denn die Gewährung einer kostenlosen Brille kann nicht als 100-prozentiger Geldrabatt betrachtet werden, da sonst der Anwendungsbereich des Paragrafen 7 Abs. 1 Satz 1 HWG ausgehöhlt wird. Demzufolge ist die Ausnahmeregel des Geldrabatts bei reinen Werbegeschenken nicht anzuwenden. Der Gesetzgeber wollte mit der Ausnahmevorschrift nur die Geldrabatte privilegieren, die sich im Handelsverkehr als üblich etabliert haben. Die Ausnahmeregel des Paragrafen 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2b HWG liegt bei der Werbeaktion ebenfalls nicht vor, da ein Naturalrabatt nur gewährt werden kann, wenn tatsächlich ein Produkt gekauft wurde. Bei einem Gratisprodukt greift die Vorschrift also gerade nicht.

 

Für die Praxis

Die Besonderheit des Falls liegt darin, dass das Hilfsmittel selbst zur Zuwendung, mithin zum Geschenk gemacht wird. Der Kunde soll unbeeinflusst das Heil- beziehungsweise Hilfsmittel auswählen. Ein geschenktes Hilfsmittel stellt somit die maximale Beeinflussung dar. Der Gesetzgeber unterbindet die Möglichkeit, Medizinprodukte zu verschenken, da ein gratis beziehungsweise ein geschenktes Medizinprodukt nicht in jedem Fall für den Kunden die optimale Versorgung darstellt. Andere Sachen wie beispielsweise ein Grill oder Eintrittskarten für ein Konzert würden problemlos als Imagewerbung anzusehen sein. Es muss also immer unterschieden werden zwischen Medizinprodukten und gewöhnlichen Konsumgütern. Der Naturalrabatt eines Hilfsmittels ‒ wie zum Beispiel ein zweites Hörsystem als Ersatzgerät im Rahmen einer Geschenkaktion ‒ ist hingegen möglich. Voraussetzung ist allerdings, dass ein Hörsystem von dem Kunden gekauft werden soll. Dann greift nämlich die Ausnahmeregel des Paragrafen 7 Abs. 1. Satz 1 Nr. 2b HWG, wonach die Zuwendung oder die Werbegabe in einer bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Menge gleicher Ware gewährt werden kann, in diesem Fall also ein zweites identisches Hörgerät. Dem Verbraucher ist dann bewusst, dass die als gratis beworbene Leistung ein Teil des Gesamtpakets ist. Eine entsprechende Werbemaßnahme darf nicht den irreführenden Eindruck erwecken, dass ein Medizinprodukt ohne zusätzlichen Kauf einer gleichwertigen Ware verschenkt wird. Andernfalls könnte ein unzulässiges Lockangebot vorliegen. Ein gleichwertiges Produkt liegt immer dann vor, wenn das Produkt der gleichen Gattung unterfällt und von gleicher Qualität ist. Wenn ein höherwertiges Hörsystem verkauft wird, muss das verschenkte Hörsystem die gleiche gute Qualität haben. Das Verschenken einer anderen Gattung, wie zum Beispiel einer Korrekturbrille bei Kauf eines Hörsystems, ist mangels gleicher Gattung nicht möglich.

Das Urteil zum Fall lesen Sie hier.

Stephanie Roßmann • biha

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