Wer eine Ware mit „null Euro“, „gratis“, „kostenlos“, „umsonst“, „Sie zahlen nichts“ oder dergleichen bewirbt und dabei die Voraussetzungen nennt, die zum kostenfreien Erwerb führen, muss diese Voraussetzungen auch einhalten, anderenfalls ist die Werbung irreführend. Das Brandenburgische Oberlandesgericht (OLG) hatte es mit einem Fall zu tun, in welchem – vermutlich versehentlich – Voraussetzungen für eine „Gratisversorgung“ oder besser gesagt „aufzahlungsfreie Versorgung“ genannt wurden. Später hielt sich jedoch das Unternehmen nicht, wie versprochen, an diese Voraussetzungen (Brandenburgisches OLG, Urteil vom 27.08.2024, Az.: 6 U 3/23).
Das hier besprochene Urteil wirft dabei interessante Grundsatzfragen auf, die bisher ungeklärt waren. So befasst sich das Urteil mit der Frage eines Per‑se‑Verbots aus dem Anhang des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Danach ist die unwahre Bewerbung als kostenlos stets unzulässig. Der Begriff „stets unzulässig“ bedeutet europarechtlich, dass die Geschäftspraktik der unwahren Bewerbung als kostenlos „unter allen Umständen unlauter“ ist. Im Grundsatz sind also die Verbotstatbestände der schwarzen Liste per se verboten, ohne dass es auf die geschäftliche Relevanz der Werbung ankommt. Es muss also nicht geprüft werden, ob die Werbung den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er anderenfalls nicht getroffen hätte. Des Weiteren stellt das Brandenburgische OLG die Frage, wie der Begriff der Unentgeltlichkeit zu verstehen ist, wenn ein Dritter, in der Optik- und Hörakustikbranche zumeist die gesetzliche Krankenversicherung, den Kaufpreis bezahlt. Denn nicht selten werben Optiker heutzutage meist nur noch im Bereich der Kinderversorgung und Hörakustiker mit einem Nulltarif oder ähnlichen Wendungen.
Sachverhalt
Die Klägerin, die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg, verklagte ein großes Optik- und Hörakustikunternehmen, weil dieses mit aufzahlungsfreien Kinderbrillen warb. Der Wortlaut der Werbung war folgender:
„Modische Kinderbrillen zum Nulltarif“
„Bei ... erhalten Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre eine komplette Brille aus der Nulltarifkollektion mit Gläsern von Carl Zeiss Vision. Sie zahlen nicht für die Fassung, nicht für die Gläser. Rezept oder Versicherungskarte genügt.“
Die Website, auf der sich die Werbung des großen Optik- und Hörakustikunternehmens befindet, wurde nicht selbst von dem Unternehmen betrieben, welches die Brillen verkauft. Vielmehr schaltete eine Betreibergesellschaft die oben zitierte Werbung. Diese Betreiberfirma war im vorliegenden Fall die Beklagte, obwohl sie keine Brillen zum Verkauf anbietet. An der beklagten Betreibergesellschaft ist das große Optik- und Hörakustikunternehmen, welches die Brillen veräußert, beteiligt. Letzteres hatte auch den Auftrag für die Werbung gegeben. Das Oberlandesgericht hat durch die Vernehmung eines Kunden in einem Fachgeschäft Beweis erhoben. Dieser Kunde hatte für seinen damals minderjährigen Sohn eine Kinderbrille zum „Nulltarif“ von einem Mitarbeiter in dem Fachgeschäft verlangt. In dem Verkaufsgespräch hat der entsprechende Filialmitarbeiter eine Kinderbrille zum „Nulltarif“ verweigert. Dabei wies der Zeuge den Filialmitarbeiter auf einen auf dem Tisch in der Filiale platzierten Aufsteller hin. Dieser Aufsteller enthielt die streitgegenständliche Werbung, dass für die Abgabe zum „Nulltarif“ „Rezept oder Versicherungskarte genügt“. Danach habe der Filialmitarbeiter die Abgabe der Kinderbrille zum „Nulltarif“ unter Vorlage nur der Versicherungskarte verweigert. Auch der herbeigeholte Filialleiter meinte, die Abgabe einer Kinderbrille „zum Nulltarif“ nur gegen Rezept erledigen zu können, anderenfalls gebe „es ohne Rezept Ärger mit der Krankenkasse“.
Entscheidungsgründe
Das Landgericht hat die Klage des Verbraucherverbands abgewiesen und meinte, die Beklagte habe selbst keine Brillen „zum Nulltarif“ verkauft, vielmehr sei die Zuwiderhandlung dem Optik- und Hörakustikunternehmen zuzurechnen, welches die Brillen auch verkaufe. Eine Haftung der Beklagten, der Betreibergesellschaft der die Werbung enthaltenen Website, scheide aus, da die Handlungen von der juristisch selbstständigen Gesellschaft begangen wurden, welche die Kinderbrillen verkauft.
Dem ist das OLG entgegengetreten. Unstreitig war für beide Gerichte, dass die falsche Behauptung, die Brille sei gegen Vorlage der Krankenkassenkarte unentgeltlich, gegen das Per‑se‑Verbot der Nr. 20 zum Anhang des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) verstößt, denn für die Abgabe einer Brille an gesetzlich krankenversicherte Kinder und Jugendliche ist allein eine Verordnung eines Augenarztes erforderlich, eine Krankenkassenkarte reicht nicht aus.
Selbstständige Haftung der Betreiberin der Website
Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat die Beklagte allerdings selbst die Unlauterkeitstatbestände des § 3 Abs. 1 in Verbindung mit Nr. 20 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG bzw. des § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 UWG verwirklicht. Auf ein ihr rechtlich zuzurechnendes Verhalten Dritter, hier der Gesellschaft, welche die Brillen vertreibt, kommt es dafür nicht an. Die Zeugenaussage, welche belegt, dass die Brille nur gegen Vorlage einer augenärztlichen Verordnung zum Nulltarif abgegeben wird, sei nur gleichsam beispielhaft als Beweis dafür angeboten worden, dass die in den Geschäften der Beklagten übliche Praxis beim Verkauf von Kinderbrillen aus der Nulltarifkollektion der Werbung nicht entsprochen und daher die von der Beklagten veröffentlichte Werbung, die eine ausnahmslose Abgabe gegen Vorlage einer Versichertenkarte verspreche, tatsächlich falsch bzw. irreführend war.
„Kostenlos“ war unwahr
Unter das Per‑se‑Verbot der Nr. 20 fällt die „unwahre Bewerbung als kostenlos“. Darunter fällt gemäß Nr. 20 des Katalogs die „unwahre Bewerbung als kostenlos“ und insoweit jedes „Angebot einer Ware oder Dienstleistung als ‚gratis‘, ‚umsonst‘, ‚kostenfrei‘ oder dergleichen, wenn für die Ware oder Dienstleistung gleichwohl Kosten zu tragen sind“, soweit diese Kosten nicht „im Zusammenhang mit dem Eingehen auf das Waren- oder Dienstleistungsangebot oder für die Abholung oder Lieferung der Ware oder die Inanspruchnahme der Dienstleistung unvermeidbar sind“. Diese Tatbestandsvoraussetzungen sind hier erfüllt.
Werbung für einen Dritten reicht für eine Verurteilung
Nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG ist eine geschäftliche Handlung anzunehmen bei einem „Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen unmittelbar und objektiv zusammenhängt“.
Eine geschäftliche Handlung zugunsten eines fremden Unternehmens ist ohne Weiteres zu vermuten, wenn das betreffende Unternehmen von einem fremden Unternehmen erkennbar mit dem Ziel der Absatzförderung beauftragt wurde. Diese Voraussetzungen sind vorliegend unstreitig gegeben, denn das Optik- und Hörakustikunternehmen hatte der Beklagten den Auftrag für die Schaltung der Werbung gegeben.
„Kostenlos“, obwohl die gesetzliche Krankenkasse zahlt?
Man könnte auf den Gedanken kommen, dass die unwahre Bewerbung als „kostenlos“ hier deshalb nicht greift, weil ja die gesetzliche Krankenkasse die Brille bezahlt. Das OLG sieht dies jedoch anders. In der vorliegenden irreführenden Werbung werde dem Verbraucher zugesichert, „nicht für die Fassung“ und „nicht für die Gläser“ etwas zahlen zu müssen, mithin die gesamte Brille kostenlos zu erhalten, wenn er ein Rezept oder eine Versicherungskarte vorlege. Dabei sei für jeden Durchschnittsverbraucher ersichtlich, dass die Gläser und die Fassung nicht buchstäblich „verschenkt“, sondern die Kosten komplett von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen würden, sodass er selbst nichts „dazubezahlen“ und nur entweder ein Rezept oder eine Versicherungskarte vorlegen müsse. Dieses Angebot sei hier auch trotz der Dreierkonstellation, bei der die anfallenden Kosten ein anderer als der Verbraucher trage, im Sinne der Nr. 20 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG tatbestandsmäßig. Es komme nach dem Zweck der Vorschrift, Verbraucher vor Irreführung zu schützen, nicht darauf an, ob diese darauf hingewiesen würden, dass die Kosten für ein Warenangebot von einem anderen, nämlich in diesem Fall der Krankenkasse, bei der sie versichert seien, getragen würden. Für Verbraucher sei entscheidend, dass für sie eine beworbene Ware kostenfrei ist. Allein dieser Angebotsinhalt sei geeignet, sie für den Erwerb der Ware zu interessieren, was der Senat mit seinen zum angesprochenen Verkehrskreis gehörenden Mitgliedern selbst beurteilen könne.
Im Ergebnis war die Beklagte wegen Irreführung über die Werbung als „kostenlos“ zu verurteilen, weil sie für einen Dritten in dessen Auftrag Werbung machte und zumindest aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers die Werbung für Kinderbrillen den Eindruck der Kostenfreiheit machte, auch wenn die gesetzliche Krankenversicherung die Brille des Kindes bzw. Jugendlichen bezahlt.
Für die Praxis
Bisher haben sich Zivilgerichte selten dazu geäußert, dass nicht nur Augenoptiker, sondern auch Hörakustiker mit dem Begriff der „Kostenlosigkeit“ werben, obwohl die gesetzliche Krankenkasse das Hilfsmittel, ob Brille oder Hörgerät, letztendlich bezahlt.
Argumentation gegenüber gesetzlichen Krankenkassen
Manche gesetzlichen Krankenkassen könnten der Auffassung sein, dass die Kostenfreiheit eines Hilfsmittels, sprich Hörsystems, sich aus dem Sozialgesetzbuch V ergibt und die Werbung Privater mit der einer Kostenlosigkeit des Hilfsmittels nicht zusammenpasst. Schließlich wird nur dem Sachleistungsprinzip Genüge getan. Selbstverständlich übernehme die gesetzliche Krankenkasse die Kosten beispielsweise für Hörsysteme. Dem tritt das OLG vorliegend entgegen, indem es den Durchschnittsverbraucher bemüht, welcher weiß, dass die Hilfsmittel nicht verschenkt werden, sondern die gesetzliche Krankenkasse dafür aufkommt. Dieses Argument kann dadurch verstärkt werden, dass der gesetzlich Krankenversicherte eine ärztliche Verordnung benötigt. Dieses Erfordernis war in der vorliegenden Werbung zumindest auch Voraussetzung für den Erwerb des Hilfsmittels. Dadurch wird klar, dass die Versichertengemeinschaft nicht voraussetzungslos leistet. Hinzu kommt, dass die Krankenkassen bereits nach geltendem Recht verpflichtet sind, ihre Versicherten über ihre Rechte aufzuklären und zu beraten. Diese Pflicht wird von den werbenden Hilfsmittelerbringern eigentlich nur aufgegriffen.
Irrtümliche Gratiswerbung: Haftung bleibt bestehen
Es stellt sich die Frage, wie es bei einem größeren Unternehmen mit einer langen Erfahrung am Optik- und Hörakustikmarkt zu einer solch offensichtlich falschen und irreführenden Werbung kommen konnte. Schließlich ist allen Beteiligten grundsätzlich klar, dass die bloße Vorlage der Krankenkassenkarte nicht zum Bezug von Hörsystemen oder Brillen berechtigt. Ein Irrtum eines Mitarbeiters oder sonstigen Verantwortlichen kann daher unterstellt werden. Auch kann die unterlassene Einschaltung der Rechtsabteilung Ursache für eine derart falsche Werbung sein. Um die Werbeaktion zu retten, bot die Beklagte im Vorfeld deshalb eine Unterlassungserklärung an, die eine Auslauffrist hatte, soll heißen, die Werbeaktion sollte noch eine Weile fortgeführt werden können, obwohl sie rechtswidrig ist. Wirtschaftlich gesehen amortisiert sich dann wenigstens noch die Investition in die Kosten für die Werbung, u. a. mit Flyern, Plakaten, Aufstellern, Zeitungsanzeigen oder Internetwerbung.
Auf einen Irrtum des Mitarbeiters kann sich ein Unternehmen nicht mit Erfolg berufen. § 8 Absatz 2 UWG regelt den Unterlassungsanspruch gegen den Unternehmensinhaber bei Zuwiderhandlungen seiner Mitarbeiter und Beauftragten im Sinne einer Erfolgshaftung ohne Entlastungsmöglichkeit. Der Unternehmensinhaber kann sich also nicht darauf berufen, er habe die Zuwiderhandlung seines Mitarbeiters oder Beauftragten nicht gekannt oder nicht verhindern können.
Die einzige Möglichkeit, die Werbeaktion noch zu retten, besteht dann darin, die Unterlassung zu verzögern. Dies kann, wie hier geschehen, auch durch ein längeres Gerichtsverfahren geschehen. Dem könnte nur mit einer einstweiligen Verfügung entgegengetreten werden, welche jedoch Schadenersatzansprüche auslöst, wenn der Kläger in der Hauptsache doch unterliegt. Eine einstweilige Verfügung ist also sehr risikobehaftet.
Um sich all diesen Ärger zu ersparen, sollte der Hörakustiker genau darauf achten, was er in seinem Werbetext schreibt. Wenn Unsicherheiten bestehen, sollte er Rechtsrat, beispielsweise bei seiner Innung, einholen. Wichtig ist aber vor allem Transparenz in der Werbung, sonst heißt es: „Mir fehlt der Durchblick!“
Das Urteil lesen Sie hier.
Peter Radmacher, Leitung Abteilung Recht, Bundesinnung der Hörakustiker KdöR (biha)
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