Das Beste vom Besten, aber bitte auf Kosten der Allgemeinheit …! Diesen Wunsch hatte ein schwerhöriger Lkw-Fahrer, der sich im Rahmen seiner Hörsystemversorgung für ein Premiumhörsystem entschieden hatte, aber die dafür fälligen Mehrkosten nicht aus eigener Tasche zahlen wollte.
Sachverhalt
Zwar hatte der Lkw-Fahrer in seiner Versichertenerklärung noch angegeben, sich aus Gründen der Ästhetik und aufgrund der vorhängenden Funktechnologie für ein Hörsystem mit Aufzahlung entschieden zu haben. Nachdem seine gesetzliche Krankenversicherung (GKV) aber nur den Vertragspreis bewilligte, zog der Lkw-Fahrer vor Gericht. Dort behauptete er, zur Versichertenerklärung gedrängt worden zu sein.
Zudem gebe der Anpassbericht seiner Hörakustikerin das Messergebnis für die aufzahlungsfreie Versorgung unzutreffend wieder. Mit dem Vertragsgerät läge der Hörgewinn nicht bei 90 % im Nutzschall bzw. 80 % im Störschall, sondern deutlich unter den Messergebnissen des Wunschgeräts, mit welchem er einen Hörgewinn von 95 % im Nutzschall bzw. 85 % im Störschall erzielt habe. Die Hörakustikerin hätte eine Falschbeurkundung vorgenommen.
Verweigerungshaltung und Befangenheitsanträge
Noch während des Klageverfahrens bat der Berufskraftfahrer seine Krankenversicherung zudem darum, eine preisgünstigere Onlineversorgung nutzen zu können. Diesem Wunsch erteilte die Krankenversicherung eine Absage, da eine reine Onlineversorgung nicht möglich sei. Daraufhin bestand der Lkw-Fahrer vor Gericht weiterhin auf eine vollständige Kostenübernahme der begehrten Versorgung. Da er der Auffassung war, die begehrte Versorgung stünde ihm auch aus beruflichen Gründen zu, wurde die Rentenversicherung zum Verfahren beigeladen. Einer vom Gericht angesetzten Begutachtung der Versorgung blieb der Lkw-Fahrer unentschuldigt fern. Zudem stellte er gegen die entscheidenden Richter sowie die als Zeugin geladene Hörakustikerin eine Vielzahl von Befangenheitsanträgen, welche vom Gericht allesamt abgelehnt wurden. Schließlich beantragte der Versicherte, dass die Verhandlung mittels Videokonferenz durchgeführt werde. Auch dies lehnte das Gericht ab. Da der Lkw-Fahrer am Verhandlungstermin vor Ort nicht erschien, erging das Urteil in seiner Abwesenheit.
Entscheidungsgründe
Sowohl das Sozialgericht Konstanz als auch das über die Berufung entscheidende Landessozialgericht Baden-Württemberg erteilten dem Begehren des Lkw-Fahrers eine deutliche Absage (Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17.12.2024, Az.: L 11 KR 2223/24). Das Prozessgebaren des Klägers wurde vom Landessozialgericht Baden-Württemberg als „rechtsmissbräuchlich“ eingestuft. Damit musste über die Befangenheitsanträge des Klägers nicht entschieden werden.
In der Sache seien die Einwände des Klägers nicht nachvollziehbar. Dass der Hörgewinn mit dem aufzahlungsfreien Hörsystem von seiner Hörakustikerin falsch dokumentiert worden sei, konnte das Gericht nicht nachvollziehen. Die nicht befangene Zeugin konnte in ihrer Funktion als Hörakustikerin glaubhaft versichern, dass die Messergebnisse des Anpassberichts zutreffend seien. Daher betrug die Messdifferenz zwischen dem aufzahlungsfreien und aufzahlungspflichtigen Hörsystem zur Überzeugung des Gerichts lediglich fünf Prozentpunkte. Das Gericht stellte diesbezüglich fest, dass ein derart geringer Unterschied von nur einem Wort nicht dazu führe, dass die begehrte Mehrkostenversorgung als „besser“ zu bewerten sei. Vielmehr könne diese geringe Abweichung auch von Zufälligkeiten und der jeweiligen Tagesform abhängen, sodass sich die Messdifferenz von fünf Prozentpunkten im Rahmen der sogenannten „Messtoleranz“ bewege und keinen Anspruch auf das höherpreisige Hörsystem begründe. Ein besseres Hören mit dem höherpreisigen Hörsystem sei durch die Messdifferenzen von lediglich fünf Prozentpunkten gerade nicht nachgewiesen.
Das Landessozialgericht kam daher zum Ergebnis, dass die Versorgung mit den begehrten Hörsystemen nicht „notwendig“ im Sinne des § 33 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) sei, um die Hörbehinderung des Versicherten auszugleichen. Damit war die Krankenkasse des Lkw-Fahrers zur Kostenübernahme der angefallenen Mehrkosten nicht verpflichtet.
Auch gegen seine Rentenversicherung konnte der Lkw-Fahrer seinen Anspruch nicht durchsetzen.
Alltägliche statt berufsspezifische Anforderungen
Das Landessozialgericht stellte hierzu fest, dass ein berufsbedingter Mehrbedarf nicht bestehe. Der Beruf des Lkw-Fahrers stelle keine besonderen akustischen Anforderungen, die über die Anforderungen im normalen Alltag hinausgehen. Tätigkeiten, die eine akustische Kontrolle oder das feine Unterscheiden von Tönen erfordern, wie es beispielsweise bei einem Klavierstimmer der Fall ist, spielen bei Berufskraftfahrern keine Rolle. Auch das Führen von Telefonaten in lauter Umgebung oder während des Verkehrs erfordern keine speziellen hochwertigeren Hörsysteme aus beruflichen Gründen. Diese Hörsituationen eines Lkw-Fahrers seien vielmehr vergleichbar mit den Herausforderungen, die auch im Alltag bei Gesprächen mit mehreren Personen oder beim Autofahren bestehen. Darüber hinaus seien Berufskraftfahrer die meiste Zeit allein in ihren Fahrzeugen unterwegs und müssten gerade nicht kommunizieren. Falls ein Austausch mit anderen Personen erforderlich sei, würden diese Gespräche keine Anforderungen an das Gehör stellen, die über die des privaten Lebens hinausgehen. Das Gericht stellte zwar fest, dass die Kommunikation über die Bluetoothfunktion komfortabler sein dürfte als ohne – dies sei aber gerade kein Grund für einen berufsbedingten Mehrbedarf.
Damit scheiterte der Lkw-Fahrer auch mit seinem behaupteten Anspruch gegen die Rentenversicherung und musste die angefallenen Mehrkosten im Ergebnis selbst bezahlen.
Für die Praxis
Dieser Fall bestätigt einmal mehr die in den Verträgen der biha fest verankerte Messtoleranz. Zumindest bei einer Abweichung von lediglich fünf Prozentpunkten dürfte ein „besseres“ Hören grundsätzlich nicht nachgewiesen sein. Denn, wie das Gericht richtigerweise feststellt, handelt es sich bei einer Messdifferenz von 5 % lediglich um einen Verstehensunterschied von einem einzigen Wort.
So logisch dies klingt und so nachvollziehbar das Gericht dies auch begründet hat, Klagen wie die vorliegende tragen leider immer wieder dazu bei, dass die Messtoleranz vor Gericht wackelt. Denn nicht jedes Gericht versteht, dass eine Abweichung von 5 % lediglich das Nichtverstehen eines einzelnen Wortes bedeutet. Immer wieder kommt es daher auch zu Urteilen, die eine Messtoleranz vollständig ablehnen und eine Gleichwertigkeit der Hörsysteme nur dann bejahen, wenn die erzielten Messergebnisse vollständig identisch sind.
Bundessozialgerichts entscheidet über Messtoleranz
Da die Messtoleranz explizit weder im Gesetz noch in der Hilfsmittel-Richtlinie normiert ist und daher immer wieder von Versicherten infrage gestellt wird, war es nur eine Frage der Zeit, dass auch das allerhöchste Sozialgericht um eine Entscheidung gebeten wird. Mehrere Fälle zur Messtoleranz liegen daher aktuell dem Bundessozialgericht (BSG) zur abschließenden Entscheidung vor. Es ist damit zu rechnen, dass das BSG die Streitigkeiten zur Existenz bzw. Höhe einer Messtoleranz damit ein für alle Mal entscheiden wird.
Bis dahin geben die aktuellen Versorgungsverträge vor, dass in der vergleichenden Anpassung eine Messtoleranz zulässig ist.
Umgang mit Querulanten
Doch noch etwas kann man aus dem vorliegenden Urteil mitnehmen – und zwar zum Umgang mit Querulanten. Diese geben sich zwar oft nicht sofort als herausfordernde Kunden zu erkennen. Doch wie das vorliegende Urteil zeigt, kann sich dies rasch ändern – bis hin zum Befangenheitsantrag und Betrugsvorwürfen gegen die vertragsgemäß versorgende Hörakustikerin.
Um in derartigen Fällen später das Gericht von der vertragsgemäßen Versorgung überzeugen zu können, ist es wichtig, bei schwierigen Kunden den Versorgungsablauf gut zu dokumentieren und sich nicht auf Diskussionen bezüglich der vertraglich erforderlichen Unterlagen einzulassen. Will der Versicherte etwa die Mehrkostenerklärung textlich abändern, sollte man ihn darauf hinweisen, dass es sich bei der Mehrkostenerklärung um ein vertragliches Formular handelt, dessen inhaltliche Abänderung nicht möglich ist. Notfalls verweisen Sie Ihren Kunden darauf, sich direkt an seine Krankenversicherung zu wenden oder selbst einen Antrag auf die begehrte Versorgung zu stellen.
Doch wie erkennt man einen Querulanten? Hier müssen Sie sich auf Ihre Erfahrung und ihr Bauchgefühl verlassen. Ein Warnzeichen kann es etwa sein, wenn der Kunde sich sehr negativ über eine Vielzahl vorheriger Versorgungsversuche äußert, die er allesamt abgebrochen hat. Hier sollten Sie hellhörig werden und nachfragen. Warum war der Kunde so unzufrieden? Warum konnte ihn keiner der vorherigen Hörakustiker zufriedenstellen? Doch auch wenn die Versorgung mit Hörsystemen ohne besondere Vorkommnisse beginnt, kann sich von Termin zu Termin ein ungutes Gefühl einstellen. Da niemand gerne Probleme im Fachgeschäft hat, ignoriert man vielleicht das unterschwellige Gefühl, das einen immer wieder überkommt, wenn man an die Betreuung dieses speziellen Kunden denkt. Doch auch hier gilt: Je unguter Ihr Gefühl, desto genauer sollten Sie den Versorgungsablauf dokumentieren. Denken Sie gegebenenfalls auch daran, bei Versorgungsterminen Kollegen hinzuzuziehen, damit Sie in einem Gerichtsverfahren auf mögliche Zeugen zurückgreifen können.
Sollte sich der Kunde dann tatsächlich als Querulant herausstellen, stellt sich die Frage, wie man weiter mit ihm umgehen soll. Dies erfordert nicht nur Fingerspitzengefühl, sondern häufig auch die Fähigkeit, klare Grenzen zu setzen. Gleichzeitig bleibt die Gewissheit, dass man als Hörakustiker weder gesetzlich noch vertraglich verpflichtet ist, jeden Kunden ein Leben lang zu betreuen. Wenn die persönliche Belastungsgrenze erreicht ist, hat man immer die Möglichkeit, das Vertragsverhältnis zu beenden oder gar nicht erst einzugehen. Auch wenn solche Entscheidungen schwierig sind, bestätigt sich oft das Sprichwort: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.
Das Urteil lesen sie hier.
Alexandra Gödecke, Syndikusrechtsanwältin,
Leiterin Abteilung Soziale Sicherung,
Bundesinnung der Hörakustiker KdöR (biha)
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