Vom 18. bis 20. Oktober 2017 wird Nürnberg der Hotspot der Hörakustik. Der diesjährige EUHA-Kongress dreht sich um die „Zukunft der Hörakustik“. Mehr als 20 Referenten präsentieren Erkenntnisse aus Wissenschaft, Technik und Audiologie. Den Auftakt am Mittwoch macht ein Vortrag über Over-the-Counter(OTC)-Hörgeräte, der Donnerstag steht im Zeichen eines Industrie-Updates und am Freitag geht es um Themen wie Tinnitus und Störgeräuschunterdrückung.

Professor Dr. Bernhard Richter vom Freiburger Institut für Musikermedizin am Universitätsklinikum Freiburg wird im Rahmen der feierlichen Kongresseröffnung den Festvortrag halten. „,Ich bin ganz Ohr‘ – Hören mit Leib und Seele“ lautet der Titel seines Vortrages. Bei Richter geht es um den Hörsinn und um Emotionen. Er stellt die wichtige Funktion des Gehöres als Frühwarnsystem in den Fokus und zeigt auf, wie es am Austausch von Emotionen beteiligt ist. Der Sinnes-kanal des Hörens ist Tag und Nacht aktiv und kann vor Gefahren aus weiter Ferne warnen. Er funktioniert auch im Dunkeln. Im Alltag ist das Ohr ein wesentliches „Einfallstor“ in der Vermittlung zwischenmenschlicher Emotionen, ohne die Menschen als soziale Wesen nur sehr bedingt lebensfähig sind. Der Festvortrag wird mit akustischen und musikalischen Beispielen untermalt.

Dr. Barry A. Freeman aus Florida (USA) spricht über „Im freien Handel erhältliche Hörgeräte: Die Auswirkungen auf die Hörgeräteversorgung weltweit“. Der Vortrag beleuchtet den Hintergrund und die Auswirkungen von OTC-Hörgeräten. Unter Bezugnahme auf die Empfehlungen der Arbeitsgruppen der Regierung erwägt der US-Kongress die Einführung eines Gesetzes, das die neue Kategorie im freien Handel erhältlicher Hörgeräte etablieren soll. Diese Geräte sollen ohne die Dienstleistungen eines aus-gebildeten Hörakustikers für Erwachsene mit selbstdiagnostiziertem leichten bis mittleren Hörverlust verfügbar sein.

Im Rahmen der Präsentation werden die Hintergründe und Auswirkungen der Empfehlung, Hörgeräte rezeptfrei und ohne professionelle Anpassung abzugeben, diskutiert. Dieses Modell könnte Folgen für die Hörgeräteversorgung weltweit haben. Da nur die Hörgeräteanpassungen durch Fachleute einen positiven Einfluss auf die Ergebnisse der Versorgung haben und im Sinne der Betroffen sind, sollten Hörakustiker darauf vorbereitet sein, dies klarzustellen und ihre wichtige Position auch zu verteidigen. Weitere Themen am Mittwoch sind die kognitive Belastung beim Sprachverstehen und wie diese erfasst werden kann. Es geht um multilinguale Sprachtestverfahren und darum, wie diese den individuellen Erfolg einer Hörgeräteversorgung vorhersagbar machen können. Außerdem spielt lautheitsbasierte In-situ-Perzentilanalyse eine Rolle.

Der Donnerstag gibt Einblick in die aktuellen technologischen Errungenschaften der Industrie. Die Möglichkeiten einer zukunftsfähigen Hörsystemversorgung werden den Teilnehmern in acht verschiedenen Vorträgen vermittelt. Es geht dabei um die Frage, ob besseres Richtungshören ohne Richtmikrofon möglich ist. Sprach-verstehen und Sprachverständlichkeit werden unter die Lupe genommen. Es gibt neue Einblicke in eine besondere Hördimension und zwar im Hinblick auf Kognition und variable Kompression und es geht um kognitive Screeningverfahren. Smart Hearing ist ohne Frage der Zukunftstrend, doch welche audiologischen Hintergründe gibt es dazu und welchen Nutzen haben sie im Alltag? Wie lassen sich externe Technologien in bestehende Pro-gramme integrieren, sodass ein Streaming in Echtzeit möglich ist?

Sebastian Best aus Erlangen spricht zum Thema „Klangwahrnehmung der eigenen Stimme: Natürlichkeit durch eine neuentwickelte Analysemethode“. Traditionelle Hörgeräte sind in Kommunikationssituationen darauf optimiert, Sprache in verschiedenen Situationen verstehbar zu machen. Nun ist der nächste Entwicklungs-schritt erfolgt: Hörgeräte sorgen dafür, dass auch die Wahrnehmung der eigenen Stimme angenehmer und damit die Barriere, am sozialen Geschehen teilzunehmen, signifikant kleiner wird. Der Vortrag gibt einen Überblick darüber, warum die eigene Stimme für viele so unbekannt klingt und wie diese erstmalig in Hörsystemen eingesetzte Technologie dabei hilft, das Natürlichkeitsempfinden des Kunden effektiv zu steigern. Dabei werden Studien vorgestellt, die untersuchen, welchen Einfluss dieser neue Algorithmus auf das Sprachverstehen, das Kommunikationsverhalten und die Akzeptanz von Hörgeräten hat.

Am Freitag stehen die Themen Tinnitus und Störgeräuschreduktion auf dem Programm. Dr. Winfried Schlee aus Regensburg referiert zum Thema „Notch oder nicht Notch: Über die Behandlung des chronischen Tinnitus mittels Notched Auditory Stimulation“. Die Notched Auditory Stimulation stellt eine neue Methode der Tinnitusbehandlung dar. Dabei wird die individuelle Tinnitusfrequenz aus dem Frequenzspektrum herausgefiltert und das gefilterte Signal dem Tinnitusbetroffenen wiederholt dargeboten. In diesem Vortrag wird unter anderem das theoretische Konzept der Notched Auditory Stimulation mit der Behandlung durch konventionelle Hörgeräte kontrastiert. Ein weiterer Vortrag beschäftigt sich mit dem Thema Hyperakusis als zusätzlicher Belastungsfaktor bei hronischem Tinnitus und deren softwaregestützte Operationalisierung mit dem Würzburger Hörfeld.

Dr. Hendrik Husstedt und Marlitt Frenz aus Lübeck sprechen zum Thema „Untersuchung der Störgeräuschunterdrückung für Situationen mit mehreren Signalquellen und unterschiedlichen Schalleinfallsrichtungen“. In diesem Beitrag wird ein Verfahren vorgestellt, das mehrere gleichzeitig einwirkende Signalquellen aus gleicher oder unterschiedlicher Richtung getrennt voneinander betrachtet. Verfahren zur Störgeräuschunterdrückung sind seit Jahren fester Bestandteil der Signalverarbeitung moderner Hörgeräte. Dabei besteht das Ziel darin, das Nutzsignal – in der Regel Sprache – gegenüber Störgeräuschen hervorzuheben. Eine Einschränkung besteht jedoch darin, dass immer nur ein Nutz- und ein Störsignal getrennt voneinander betrachtet werden können. Komplexe Situationen, bei denen mehrere Nutz- und mehrere Störsignale gleichzeitig eintreffen, können bislang nicht genauer untersucht werden.

Der Vortrag „Kann aus der Toleranzgrenze gegenüber Geräuschen die Präferenz für eine digitale Störgeräuschreduktion abgeleitet werden?" beschäftigt sich ebenfalls mit dem Thema Störgeräuschunterdrückung. Es werden Studienergebnisse vorgestellt, die dem Hörakustiker zeigen, wie er mit der Auswahl der stärksten Geräuschabsenkung dem Hörgeräteträger den bestmöglichen Nutzen und Komfort bieten kann. Darüber hinaus spielt das Thema drahtlose Übertragungsanlagen eine Rolle. Es wird über den Nachweis des Nutzens dieser Anlagen gesprochen. Außerdem werden zwei Messverfahren zur Evaluierung drahtloser Übertragungsanlagen im klinischen Alltag verglichen. Susan Clutterbuck aus Victoria (Australien) fragt: „Basis- und Spitzentechnologie in der Praxis: Gibt es Unterschiede?“ Sie geht der Frage nach, ob ein höheres Niveau der Hörgerätetechnologie eine bessere Leistung bietet als die Basistechnologie. Dabei analysiert sie zwei verschiedene Untersuchungen und stellt zum Teil überraschende Unterschiede fest.


Sabine Stübe-Kirchhof