Alljährlich wird die Mitgliederversammlung der Europäischen Union der Hörgeräteakustiker e.V. (EUHA) geprägt von einem besonderen Gastredner. In diesem Jahr trat der hörbeeinträchtigte Audiotherapeut Peter Dieler aufs Podium – und analysierte, warum manche Hörakustikerkunden so schwierig sind. Neben den üblichen Rückblicken auf die Arbeit der EUHA im vergangenen Jahr standen am frühen Abend des 14.10.2015 außerdem die Präsidiumswahlen auf dem Programm.

„Zufriedene Hörgerätekunden sind treu. Doch ab und an gibt es Kunden, die schwierig werden“, beschrieb Martin Blecker, Präsident der Europäischen Union der Hörgeräteakustiker e. V. (EUHA), den Alltag vieler der anwesenden Kollegen in der EUHA-Mitgliederversammlung am 14.10.2015. Woran es liegen kann, wenn der Hörgerätekunde schwierig wird, und was der Hörakustiker dann machen kann, darüber informierte der Coach und Audiotherapeut Peter Dieler als Gastredner der diesjährigen Versammlung. Dieler, selbst Hörsystemträger und als Therapeut tätig im Helios-Rehazentrum Bad Berleburg, begann seinen Vortrag provokant mit den Worten: „Ich komme in Frieden.“ Doch nicht nur mit seinen markigen Sprüchen hatte der Audiotherapeut, der hauptberuflich „mit unzufriedenen Kunden“ arbeiten müsse, die Hörakustiker auf seiner Seite. Ganz im Sinne Friedrich Nietzsches – „Im Lob ist mehr Zudringlichkeit als im Tadel“ – bedankte Peter Dieler sich für den Austausch, den es mit Hörgeräteakustikern gebe. Er wisse nun, was es bedeute, diese Arbeit zu machen, und warum einige Akustiker in ihren Möglichkeiten begrenzt seien – etwa dann, wenn der Kunde nicht mitarbeiten wolle. „Das erlebe ich häufig in meinem Klinikalltag: Das, was der Kunde dem Akustiker sagt, ist nicht das, was der in seiner täglichen Arbeit braucht.“ Doch durften sich die anwesenden Hörakustiker nicht auf dem Lob des geübten Redners ausruhen.

Der Audiotherapeut stellte den Hörakustikern die einfache Frage, ob es immer der Kunde sei, „der schwierig ist“ – oder ob es aus Kundensicht nicht auch der Akustiker sein könne, „der mir seine Arbeit andrehen will“. An Erfahrung mit Hörkustikern mangelt es Dieler, der offen mit seiner Hörbeeinträchtigung umgeht, sicher nicht. „Ich wurde gut hörend geboren“, erklärte er. Im Alter von sieben Jahren erhielt er sein erstes Hörgerät, doch begann er erst mit 14 Jahren mit dem Tragen der Geräte. „Es ist etwas ganz anderes, Hörgeräte zu haben oder aber sie zu tragen und zu wissen, was es eigentlich bedeutet, schwerhörig zu sein!“, versuchte er eine Lanze für die schwierigen Kunden der Hörakustiker zu brechen.

Alles, so Peter Dieler, sei eine Frage der Sichtweise. Um dies zu illustrieren, berichtete er von einem persönlichen Erlebnis. Ein Bekannter habe seiner Frau erzählt, dass er nun mit Hörgeräten versorgt werde, worauf diese antwortete: „Dann bist du jetzt auch behindert.“ Die Antwort des Mannes: „Nein, wegen der Hörgeräte ja nun nicht mehr!“ Der Tipp des Experten an die Anwesenden lautete: Man solle sich klarmachen, dass der Kunde sich anders sehe, als man selbst ihn betrachte. Der erste Schritt liege deshalb darin, den Kunden zu gewinnen, auch wenn das „nicht immer ganz leicht ist“, so der Hörgeräteträger. Doch wenn man Hundefutter verkaufen wolle, müsse man die Rolle des Hundes übernehmen, zitierte Dieler einen amerikanischen Sozialforscher – und wandelte den Spruch um in: „Wer Hörgeräte verkaufen will, der muss sich in den Kunden hineinversetzen.“ Denn genau das würden mache Hörakustiker vermissen lassen, so Dielers Vorwurf.

„Das höre ich oft von den Patienten. Sie sagen: Der Akustiker hat viel Ahnung von der Technik, aber er weiß nicht, wie es mir damit geht.“ Es sei ein ganz entscheidender Schritt, sich in den Kunden hineinzuversetzen. Der Annahme vieler Hörakustiker, dass ein Kunde, der in den Laden komme und einen Hörtest machen wolle, dort nur abgeholt werden müsse, widersprach Peter Dieler. „Ich behaupte, dass die meisten Leute, die zu Ihnen kommen und sagen, sie wollen einen Hörtest machen, gar keinen Hörtest machen wollen. Denn die meisten kommen, weil der Mann oder die Frau sie schickt. Die kommen nicht aus freien Stücken! Das heißt: Ich habe keinen Kunden, der will.“ Doch während der unwillige Kunde mit einem Bein schon wieder aus dem Laden raus sei, denke der Akustiker in der Situation nur daran, ob die Messkabine frei sei. „Kunden abzuholen passiert nicht im Laden, das passiert schon viel, viel eher“, lautete Dielers Mahnung.

Eine simple Einteilung der Kunden nach Typen, wie sie oftmals empfohlen werde, sei nicht hilfreich, sondern viel mehr „gefährlich“, so der Gastredner weiter. Denn das werde dem, was der Hörgeräteakustiker leiste, nicht gerecht: „Wir verkaufen keine Autos. Wir verändern Lebensqualität. Der Akustiker greift in das Intimste meines Lebens ein!“ Schließlich sei er es, der dafür sorge, dass Peter Dieler abends die Liebeserklärung seiner Frau hören könne. „Und mal ehrlich: Wie viel Zeit nehmen Sie sich, wenn der Kunde vor Ihnen sitzt? Denken Sie im Beratungsgespräch dauernd daran, dass Sie einen Typen vor sich haben, den Sie kategorisieren können? Das tun Sie nicht. Denn das funktioniert auch nicht!“ Zudem würde sich, wenn der Akustiker gute Arbeit leiste, die Haltung des Kunden von einer passiven – „Ich habe ein Problem, und du musst das lösen“ – in eine aktive ändern.

Dielers provokante Aussage in dem Saal voller Hörakustiker lautet: „Ein verkauftes Hörgerät ist schlechter als ein gekauftes.“ Schließlich würde, so Dieler, der Kunde, der aus eigener Überzeugung ein Hörgerät haben wolle, die Schuld bei sich suchen, wenn weitere Korrekturen nach der Anpassung nötig seien. Wenn der Kunde allerdings den Eindruck habe, dass ihm etwas verkauft wurde, bestehe er auf eine Rückgabemöglichkeit. „Und wenn ein gekauftes Hörgerät besser ist als ein verkauftes – brauchen wir Hörakus-tiker dann Verkaufsschulungen? Oder ist es nicht eher der Kunde, der Kaufschulungen braucht?“, stellte er in den Raum. Ein erster Schritt in diese Richtung sei die Aufklärung des Kunden. „Seien Sie transparent!“, riet Peter Dieler.

Ein umfassend informierter Kunde sei ein elementarer Bestandteil der Hörakustik. „Vergessen Sie nicht, dass der Kunde Angst hat und Hörgeräte ihn befremden. Und durch Bekannte hat er sich vielleicht ein falsches Bild gemacht.“ Der aufgeklärte Kunde, der begreife, was der Akustiker tue, werde sicher in seiner Entscheidung. „Die Kunden beklagen sich nicht über die Technik. Sie beklagen sich darüber, dass sie zu wenig Informationen bekommen, nicht ausreichend aufgeklärt werden und nicht wissen, wofür die Knöpfe sind“, gab der Audiotherapeut und Coach die Kritik wieder, die ihm im Berufsalltag begegnet.

„Wir sind uns wohl einig, dass Schwerhörigkeit den Betroffenen selbst oft nicht bewusst ist und nicht nur den Schwerhörigen selbst betrifft.“ Es gebe auch „Co-Betroffene“. Darüber hinaus würden Hörgeräte auch heute noch als Stigma empfunden. „Vergessen Sie nicht: Die meisten Kunden wollen nicht schwerhörig sein. Sie kaufen letzten Endes oft ein Produkt, das sie eigentlich nicht haben wollen, und sie verstecken ihre Schwerhörigkeit vor, während und nach der Versorgung.“ Hier erntete Dieler zustimmendes Nicken aus dem Publikum.

Peter Dieler sieht aber auch die Hörgeschädigten in der Verantwortung, da ihr Verhalten dazu führe, dass es beim Thema Hörgeräte überhaupt zur Stigmatisierung komme. Diese Verhaltensweisen hätten sich zudem über Jahre verfestigt und die Persönlichkeit des Kunden verändert, sodass dieser auch mit Hörgeräteversorgung ein schwerhöriger Kunde bleibe. „Doch was verstehen Sie eigentlich von der jeweiligen Kundensituation?“, fragte der Audiotherapeut sein Publikum. Schließlich sei es eine typische Situation beim Hörakustiker, dass der Kunde darauf hinweise, dass er auf einer Party nicht alles verstehe. Und die Antwort des Akustikers? Die laute häufig: „Ja, ich verstehe auf der Party auch nicht alles!“, kritisierte Dieler. „Es interessiert den Kunden nicht, ob es Ihnen genauso geht. Er will in der Situation ernst genommen werden.“ Der Akustiker müsse ihn aufklären und Vertrauen schaffen.

Und selbst wenn Kunde und Akustiker sich gegenseitig vertrauen würden, gebe es immer noch „die anderen hinter dem Kunden“, fuhr Peter Dieler fort. Partner, Kinder, Freunde und Kollegen würden Einfluss nehmen auf die Erwartungshaltung, indem sie dem Kunden suggerierten, dass er mit Hörgerät wieder wie früher hören können müsse. Die vielen Erwartungshaltungen, die diese Personen auf den Kunden projizierten, gestalteten die Hörgeräteanpassung so ambivalent. Hörgeräteakustiker müssten lernen, dies zu berücksichtigen, so der Redner.

Die Wunschvorstellung des Kunden, der zum Akustiker komme und wieder der Alte sein wolle, sei eine zusätzliche Stolperfalle bei der Hörgeräteversorgung. Doch sei das nur verständlich, wenn man immer mehr vom Partner oder der Partnerin abhänge. Schließlich spiele das Hören, das zuvor selbstverständlich gewesen sei, jetzt eine Rolle. „Wer geht denn schon ins Kino, um einen Film zu sehen und zu hören?“, lautete Peter Dielers rhetorische Frage. Gleiches gelte für ein Gerät namens Fernseher, bei dem es letztlich auf die Qualität des Klanges ankomme. Und weil das Hören so wertvoll und selbstverständlich für alle gut Hörenden und deshalb auch für den Kunden sei, müssten auch die Hörgeräte alles können. „Der Kunde will nicht behindert sein. Alle sollen Verständnis für seine Situation haben, aber niemand soll sehen, dass er schlecht hört“, brachte der Hörgeräteträger das Paradoxon auf den Punkt.

EinschränkungenProblematisch sei auch die Annahme des Kunden, dass der Hörakustiker der Experte sei. „Er ist der Experte, was die Anpassung anbelangt, aber für die eigene Hörsituation muss der Kunde Experte bleiben. Fordern Sie den Kunden!“, lautete deshalb das Plädoyer Dielers. Schließlich mache es für die Anpassung einen Unterschied, ob der Kunde sage: „Es ist alles zu laut!“ oder „Das Rascheln der Zeitung beim Frühstück ist zu laut!“. Als Fehler vieler Akustiker nannte Dieler: „Der Hörakustiker macht dem Kunden nicht deutlich genug klar, welche Bedeutung seine Mitwirkung für die Anpassung hat.“ Entweder komme diese Information schon im Erstgespräch, und das sei zu früh, weil der Kunde da überfordert sei. Oder er werde gar nicht informiert, und „dann wird er nicht mitarbeiten“, so das Fazit des Experten.

„Meiner Erfahrung nach ist der größte Fehler, dass der Kunde glaubt, dass am Ende der Testphase, nachdem er sich für ein Gerät entschieden hat, der Prozess der Anpassung abgeschlossen ist.“ Hier sei die Aufklärung unglaublich wichtig, da mit der Entscheidung für ein Gerät der eigentliche Anpassprozess erst beginne. „Sie müssen den Kunden hinterfragen. Je besser Sie den Kunden kennen, je mehr er weiß, was Sie tun, und Ihnen vertraut, umso besser wird die Versorgung laufen!“

Am Ende fand Peter Dieler trotz der vielen geäußerten Kritikpunkte versöhnliche Worte: „Ich habe vor 20 Jahren angefangen in dem Glauben, dass 90 Prozent der Akustiker schlecht sind.“ Das habe sich mittlerweile geändert. „Aber ich glaube, dass Sie viel mehr tun könnten, um Kunden das Gefühl zu geben: Du hast nicht nur ein Hörgerät bekommen von jemandem, der Ahnung hat. Sondern du hast Hörgeräte bekommen von jemandem, der dich jetzt eine ganze Weile deines Lebens begleiten wird.“ Letzten Endes sei es gute Qualität, wenn der Kunde wiederkomme – und nicht die Ware.

Anschließend an Peter Dielers Vortrag ging EUHA-Vizepräsident Jürgen Matthies in seinem Situationsbericht auf die Aktivitäten der Fördergemeinschaft Gutes Hören (FGH) ein. Im Jahr 2015 sei die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der FGH mit 44 796 776 Kontakten aller Veröffentlichungen sehr erfolgreich gewesen. Heruntergebrochen auf die veröffentlichten Pressemitteilungen bedeutet dies, dass jede im Schnitt 75-mal von verschiedenen Medien aufgegriffen wurde und im Schnitt etwa 1,44 Millionen Leser erreicht werden konnten. „Zur ,Woche des Hörens‘ haben wir wieder eine ganz aktive Pressearbeit gemacht“, erklärte Matthies. Es sei bedauerlich, dass viele Kollegen dieses Angebot nicht nutzten. Ähnliches lasse sich über das Hörmobil sagen: „Wer das Hörmobil als Partner nicht nutzt, der ist selbst schuld. Denn wenn Sie es nutzen und aktiv betreiben, dann ist das so erfolgreich, dass Sie nach einer solchen Aktion 30 bis 40 Personen im Laden haben“, konstatierte er.

Dirk Köttgen stellte sodann die Bereiche der fachlichen Bildungsarbeit vor; unter anderem ging er auf die Bewertung der Besucher des EUHA-Kongresses 2014 in Hannover ein. Der Kongress habe eine durchschnittliche Bewertung von 4,8 Punkten bei sechs möglichen Punkten erhalten. „Ähnlich positiv fiel das Ergebnis bei den Landestagungen und Fachseminaren im Februar und März des Jahres 2015 aus.“ Festzustellen sei weiter, dass die Auszubildendenzahlen stabil seien, „Tendenz steigend“. Aktuell gebe es 2 700 Azubis der Hörgeräteakustik.

Auch das Präsidiumsmitglied Eva Keil-Becker trat während der Mitgliederversammlung auf das Podium, um die diesjährigen Preisträger des EUHA-Förderpreises vorzustellen. Diese bekamen im Anschluss die Gelegenheit, ihre prämierten Werke kurz vorzustellen. Mehr über die diesjährigen Preisträger und deren wissenschaftliche Arbeiten finden Sie auf Seite 24 dieser Ausgabe.

Wolfgang Luber, der ebenfalls hinter das Mikrofon trat, fand zu Beginn seines Beitrages kritische Worte für eine Branche, „die Homogenität vermissen“ lasse. „Die Branche, die da mal klar an einem Strang gezogen hat, entwickelt sich auseinander, so meine Beobachtung.“ Schließlich gebe es heute durchaus konträre Philosophien, wie man eine Hörgeräteversorgung vornehmen solle, lautete sein Urteil: „Quick-Fit im Kontrast zur hochwertigen Perzentile, Schirmchenversorgung im Kontrast zur handwerklich gut gemachten Otoplastik oder einfach nur das schnelle Verkaufen im Kontrast zu einem sympathischen und guten Kundenumgang.“ Es entwickelten sich zwei Lager, so Luber, und er sei froh darüber, dass die anwesenden EUHA-Mitglieder zu denen gehörten, die eine fachlich hochwertige Versorgung schätzten. Das sei auch das erste Ziel der EUHA, weshalb auch die Leitlinien als eine Art Statement verstanden werden sollten. „Geplant sind deshalb eine Leitlinie für Audiotherapie im Rahmen der Hörgeräteversorgung und außerdem eine Leitlinie zur Otoplastik“, kündigte Wolfgang Luber an. Aus politischen Gründen sei Letzteres ein ganz wichtiges Thema. „Wir als EUHA sagen: Nein, wir wollen keine Schirmchenversorgung. Wir wollen eine Maß-Otoplastik. Das ist State of the Art“, so die Ansage Lubers, für die er viel Applaus erhielt.

Bei den nachfolgenden Neuwahlen des EUHA-Präsidiums wurde Martin Blecker für weitere drei Jahre im Amt des EUHA-Präsidenten bestätigt. Als Vizepräsidenten wurden Harald Bonsel und Jürgen Matthies gewählt, Matthies ist zudem weiterhin Schatzmeister der EUHA. Auch bei den weiteren Mitgliedern des Präsidiums gab es kaum Veränderungen: Beate Gromke, Eva Keil-Becker, Dirk Köttgen, Marc Osswald und Wolfgang Luber wurden in ihren Ämtern bestätigt. Ahsen Enderle-Ammour trat von seinem Amt zurück, neues Präsidiumsmitglied ist Tom Aerts.

Eileen Passarelli