Brille auf Rezept – das war einmal. Seit dem 01.01.2004 werden die Kosten für Sehhilfen größtenteils nicht mehr von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) übernommen. Dabei handelt es sich bei einer Sehschwäche immer noch um eine Behinderung und bei der Sehhilfe um ein Hilfsmittel. Aber: Die Sehbehinderung wird – anders als die Hörbehinderung – unter Verwendung des Hilfsmittels gemessen. Überschreitet auch nur ein mittels Sehhilfe korrigiertes Auge die Grenzwerte der World Health Organisation (WHO), so liegt eine Indikation für die Hilfsmittelversorgung mit einer Sehhilfe nicht vor.
Diese Regelung war nun einem Versicherten ein Dorn im Auge, der auf einem Auge nahezu blind und auf dem anderen Auge stark sehbeeinträchtigt ist. Das fast erblindete Auge blieb – egal mittels welcher Korrektur – stets unter dem von der WHO gesetzten Grenzwert, sodass einer Sehhilfe auf GKV-Kosten nichts entgegenstand. Die Sachleistung der GKV scheiterte jedoch an dem „nur“ stark sehbehinderten Auge.
Dieses blieb zwar mit Brille unter den Grenzwerten der WHO, sodass eine Indikation für die Sachleistung der GKV gegeben war.Verwendete der Kläger jedoch die von ihm begehrten Kontaktlinsen, so konnte die Sehstärke deutlich verbessert werden. Dann aber lag die erreichte Sehstärke nicht mehr unterhalb des WHO-Grenzwertes.
Die GKV lehnte daher die allgemeine Kontaktlinsenversorgung des Versicherten ab. Stattdessen bot diese ihm eine therapeutische Sehhilfe zum Schutz des verbliebenen sehfähigen Auges an – allerdings nur mittels Brille. Eine therapeutische Kontaktlinsenversorgung sehe die Hilfsmittelrichtlinie (HilfsM-RL) nicht vor. Hiergegen wehrte sich der Versicherte vor Gericht und verlor – zuletzt auch vor dem Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 23.06.2016, Az. B 3 KR 21/15 R).
Das BSG stellte sich eindeutig auf die Seite der GKV, deren Leistungsablehnung nicht zu beanstanden sei. Die Messung der Sehbehinderung erfolge zu Recht mit Sehhilfe und nicht ohne. Dass damit ein Großteil der Sehbehinderten – wie auch der Kläger – nicht mehr vom Sachleistungsprinzip der GKV erfasst würden, sei nicht nur hinzunehmen, sondern vielmehr gerade Sinn und Zweck der Regelungen zur Sehhilfenversorgung. So genüge für eine ausreichende Sehhilfenversorgung regelmäßig ein Betrag von etwa 50 Euro.
Dennoch seien die Versicherten im Durchschnitt dazu bereit, circa 150 Euro zusätzlich für eine Sehhilfe auszugeben – etwa für Entspiegelung und/oder Tönung der Gläser. Damit würden aber rund 70 bis 80 Prozent der Gesamtkosten trotz fehlender medizinischer Notwendigkeit durch die Versicherten getragen. Damit werde deutlich, dass die Mehrzahl der Versicherten mit den Kosten einer Sehhilfe nicht finanziell überfordert seien. Wer tatsächlich finanziell überfordert sei, könne ein Darlehen des Jobcenters erhalten, welches mit Kleinstbeträgen innerhalb eines Jahres leicht getilgt werden könne.
Zwar würden Sehhilfen damit gegenüber anderen Hilfsmitteln wie Prothesen ungleich behandelt. Dies sei den Versicherten aber zuzumuten, da Sehhilfen eben weitaus günstiger seien als andere Hilfsmittel. Da zudem viele Versicherten eine Sehhilfe benötigen, würde die GKV durch eine umfassen-de Leistungspflicht bei Sehhilfen sehr stark belastet, obwohl der Einzelne diese durchaus mit eigenen Mitteln finanzieren könne. Der Leistungskatalog der GKV dürfe auch durch solche finanzpolitischen Gründe mitbestimmt werden.
In dem zu entscheidenden Fall lag zwar der Sonderfall vor, dass der Kläger auf einem Auge nahezu blind war, sodass grundsätzlich zum Schutz des verbliebenen Augenlichtes eine therapeutische Sehhilfe infrage kam. Das BSG verwies jedoch auf Paragraf 17 Abs. 1 Nr. 16 der HilfsM-RL, der lediglich die Versorgung mittels Schutzbrille vorsehe. Dass letztere für den Kläger einen geringeren Seherfolg mit sich bringe als die Versorgung mittels Kontaktlinsen, sei nicht ausschlaggebend. Denn in Paragraf 17 der HilfsM-RL gehe es eben nicht um den erreichten Seherfolg, sondern allein um den Schutz des verbliebenen Augenlichtes.
Das BSG mahnte allerdings auch an, dass sich der Gesetzgeber damit auseinandersetzen müsse, ob die Orientierung allein an der Schwere der Sehbehinderung statt an der möglichen Verbesserung der Sehbehinderung noch dem heutigen Verständnis eines unmittelbaren Behinderungsausgleiches entspricht. Im Ergebnis sei die derzeitige Regelung aber – noch – verfassungskonform.
Das Urteil zum Fall lesen Sie hier.
Das Bild zeigt übrigens Kaiser Friedrich III. nach einem verlorenen Original von 1468 mit einer sogenannten Privatkrone.